Mittwoch, 18 April 2012 00:00

Chemiefreie Gemeinde Mals?

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s7_1923s7_1803Obervinschgau

Am Apfelrand im Obervinschgau rumort es gewaltig. Die einen wollen einen biologischen Garten und damit „Gift spritzenden“ Bauern vom Obervinschgau fernhalten,  die anderen kaufen Gründe und wollen intensive Obstkulturen anlegen. Mittendrin befinden sich teils überforderte Bauern, Nebenerwerbsbauern - und auch selbstbewusste Biobauern. Der Unruheherd Obervinschgau hat das Potenzial, die bisherige Gangart in der Obstwirtschaft durcheinanderzuwirbeln. Mehrere Arbeitsgruppen  sind gezwungen, sich mit der Problematik auseinanderzusetzen.


von Erwin Bernhart

Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau

Das Versuchsfeld geht für mich in Ordnung. Dafür soll der Obstbau in der Gemeinde Mals so lange gestoppt werden, bis konkrete Ergebnisse vorliegen.“ Das sagt Günther Wallnöfer. Wallnöfer bewirtschaftet als Biobauer in Laatsch mehr als 20 Hektar Grünland. Er ist bei „Bioland“ zertifiziert und hat wesentlich dazu beigetragen, dass die MILA eine Milch-Bioschiene eingerichtet hat. Seine Vision, seine Arbeitsweise sind in Gefahr. Gefahr droht nicht vom Markt, im Gegenteil, seine Biowirtschaft ist ein lukratives Geschäft. Noch ausbaufähig. Gefahr droht von Kollegen aus der Landwirtschaft. Gefahr droht vonseiten der intensiven Obstkulturen. Die spritzen ihm in Heu, Grummet und Pofl Mittel, die da nicht hineingehören: Captan, Chlorpirifos, Boscalid, Bupirimate und Kupfer. Dieser Cocktail an Spritzmitteln wurde im vorigen Jahr in Wallnöfers Heu und im Grummet nachgewiesen. In einer Wiese, die unmittelbar an eine Obstplantage grenzt. Gemeinsam mit seinem Verband „Bioland“ ist er der Sache nachgegangen. Weil im Bioanbau keine Pestizide erlaubt sind, konnte Wallnöfer weder Heu noch Grummet noch Pofl verfüttern. Das Heu habe ihm ein konventionell wirtschaftender Nachbar abgenommen. Das Grummet und den Pofl nicht mehr. Warum? Stimmen aus der Bevölkerung haben ihn auf „vergiftetes Futter“ aufmerksam gemacht. Die Frage bleibt im Raum, ob ähnlich belastetes Futter auch im konventionellen Bereich einfach verfüttert werden kann.
Wallnöfers Problematik ist jener Punkt, an dem sich ein Großteil der Diskussionen im Obervinschgau festmachen lässt. Kann alles erlaubt sein? Welche Regeln brauchen wir in der Landwirtschaft? Wie viel Abstand ist notwendig, damit irgendwelche Spritzmittel nicht auf das Heu oder in die biologisch bewirtschaftete Anlage des Nachbarn gelangen?
Auch da findet Wallnöfer klare Worte, die einiges über die Prioritäten im Lande aussagen: „Wenn ein Viehbauer einem Apfelbauer Schaden zufügen würde, wäre lang schon ein Gesetz da.“
Der Ruf nach Gesetzen und Regeln, die Diskussionen darüber, welchen Weg der bislang noch von der intensiven Obstwirtschaft weitgehend verschont gebliebene obere Teil des Vinschgaus gehen soll, sind zwar nicht neu, haben allerdings eine neue, eine zwingendere Qualität angenommen. Die Grundlagen, auf denen die Diskussionen aufbauen, haben sich in den letzten Jahren gewaltig geändert. Tatsache ist, dass die Beregnung im Bereich Schleis, Laatsch, Mals und Glurns die Tür für die Obstwirtschaft weit geöffnet hat. Und das, ohne zuvor Streit vermeidende Regularien gefunden zu haben.
Nun ist Eile angesagt, denn der Obstbau drängt in den Obervinschgau und Apfelplantagen beginnen, an den Hängen offenbar problemloser, in der Talsohle umstrittener, in das Landschaftsbild und eben auch in die menschliche und in die natürliche Chemie einzudringen.

Spurlos sind die bisherigen Diskussionen nicht verlaufen. Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern des Bauernbundes, der Laimburg, der Fürstenburg, des Beratungsringes, der Obstwirtschaft, der Vinschger Biobauern, dem Amt für Landwirtschaft Vinschgau und der Grünlandwirtschaft hat sich im Herbst vergangenen Jahres auf Regeln zusammengerauft. Bei der Erstellung einer Neuanlage oder einer Wiederbepflanzung, welche unmittelbar an Futterbau-, Getreideanbau- oder Kräuteranbauflächen eines anderen Besitzers angrenzen, „muss ein Pflanzabstand - gemessen vom Baumstamm zur Grundstücksgrenze - von mindestens 3 Metern engehalten werden, wenn die Baumreihe parallel zur Grundstücksgrenze, und 5 Metern, wenn die Baumreihe quer zur Grundstücksgrenze verläuft.“ Das sei die Grundvoraussetzung dafür, das Verhindern der Abdrift beim Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln überhaupt zu ermöglichen. Die Arbeitsgruppe forderte, dass an den Grundstücksgrenzen zu Futter-, Getreide- und Kräuterfeldern eine Hecke errichtet werden solle und zudem ein Sprühgerät mit Quer- oder Schrägstromaufsatz verwendet werden muss.
Diese Passage findet sich allerdings nicht mehr in den „Richtlinien für den integrierten Kernobstbau 2012“ der AGRIOS. Da habe es gewaltigen Widerstand aus der Brixner Gegend gegeben, räumt Agrios-Vizeobmann Karl Dietl ein. Dietl, seines Zeichens auch ViP-Obmamm, sagt, dass man nicht eine AGRIOS-Richtlinie allein für den Vinschgau machen könne. So steht in der aktuellen Richtlinie drin, dass entweder ein Sprüher mit Injektordüsen und Abdeckblech zum Einsatz kommen oder eine Hecke gepflanzt werden muss.
Die Landesregierung hat ebenfalls reagiert und noch im Dezember vorigen Jahres Leitlinien beschlossen, die die Abstände beim Ausbringen von Pestiziden zu Gebäuden, Gärten usw. regeln sollen. Acht Meter sollen das bei alten Gebläsesprühern sein, auf vier Metern könne  man sich Häusern mit einem Sprüher der neuen Generation nähern. Den Gemeinden hat die Landesregierung in diesem Gesetz quasi Handschellen angelegt. Die Drohung kommt im letzten Artikel des Geseztes: „Unbeschadet der Anwendung der allgemeinen Normen im Bereich des Gebrauchs von Pflanzenschutzmittel müssen die Gemeinden, falls sie eine eigene Bestimmung zu dem Sachbereich der gegenständlichen Leitlinie erlassen, diese vollinhaltlich übernehmen und sich darauf beschränken. Dabei obliegt es den Gemeinden, entsprechende Kontrollen mit eigenem Personal auszuführen und die Übertretung durch eine Verwaltungsstrafe im Rahmen des Gesetzes vom 24. November 1981, Nr. 689, in geltender Fassung, zu ahnden.“ Der WWF hat gegen diese Leitlinien Rekurs angekündigt.

Die örtliche Gesundheitsbehörde ist die Gemeinde. Es ist im Grunde die Agenda Nummer Eins für einen Bürgermeister, im Rahmen seiner Möglichkeiten dafür Sorge zu tragen, gesundheitsbeeinträchtigende Gefahren von seinen Bürgern fernzuhalten. So wie man es etwa mit einer Muren- oder Lawinenverbauung oder einem Steinschlagschutz handhabt.
In den Prämissen zu den Leitlinien heißt es: „Nachdem von der Problematik nur einzelne Gemeinden des Landes betroffen sind, sollen die interessierten Gemeinden durch einen Erlass des Bürgermeisters als örtliche Gesundheitsbehörde im Sinne des Landesgesetzes vom 13. Jänner 1992, Nr. 1, die Leitlinien übernehmen, um im Bedarfsfall eine einheitliche Regelung auf Landesebene zu gewährleisten.“
Die Gemeinden Prad, Schluderns, Glurns und Mals sind mit Sicherheit von dieser Problematik betroffen.

Wie man beherzt an die Sache rangehen kann, haben der dortige Bürgermeister und der Gemeinderat der kleinen Gemeinde Malosco vorexerziert. 2010 hat der Gemeinderat (mit nur einer Gegenstimme) Leitlinien für den Obstbau beschlossen. Im 16-Punkteprogramm sind unter anderem ein generelles Verbot von Eisen- und Betonsäulen und ein Verbot von Hagelnetzen. Dazu eine Abstandsregelung bei der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln: 50 Meter von Gebäuden, von Straßen, von Radwegen, von Gärten usw. soll der Abstand betragen.
Hintergrund der Aktion: Die Gemeinde Malosco am obersten Rand des Nonstales will keinen intensiven Obstbau. Weil dort noch eine intakte Grünlandwirtschaft betrieben wird, weil vor allem auf die touristische Entwicklung gesetzt wird. Und weil reiche Obstbauern aus dem unteren Nonstal nach oben drängen, Gründe kaufen und intensive Melinda-Kulturen anlegen wollen. Der Vergleich mit dem Obervinschgau, mit der Gemeinde Mals, ist offensichtlich. „Nur wenn die Bevölkerung dahintersteht, könnte man sowas andenken“, sagt der Malser BM Ulrich Veith, der von einer Bioregion Obervinschgau überzeugt ist.
Gegen diesen Ratsbeschluss hat es vor dem Verwaltungsgericht einen Rekurs gegeben. Seit Jänner 2012 hat das Gericht entschieden und zwar für die Gemeinde Malosco.

Zurück in die Realität des Obervinschgaus: Jüngst hat die Laimburg, das bäuerliche Forschungszentrum des Landes, angekündigt, oberhalb von Laatsch ein Versuchsfeld zu errichten, um die Abdrift und um Windverwehungen von Pestiziden unter den teils extremen Windverhältnissen erforschen zu können. Von verschiedenen Umweltorganisationen gibt es dagegen Widerstand (sh. Vinschgerwind Nr. 7).  Der Bund alternativer Anbauer, die Umweltschutzgruppe Vinschgau, die Arbeitsgemeinschaft für die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise, Adam und Epfl und die Kornkammer Vinschgau fordern in ihrer jüngsten Presseaussendung: „Das geplante Versuchsfeld der Laimburg kann nicht isoliert betrachtet werden. Alle 5 Organisationen beschäftigen sich ausführlich mit dem intensiven Obstbau. Dazu gibt es sehr viele offene Fragen. Viele davon werden erst jetzt wirklich wahrgenommen, weil die Sensibilität gegenüber den Auswirkungen erheblich zugenommen hat. Davon abgeleitet plädieren alle einhellig für eine Bio-Region Obervinschgau. Vieles spricht dafür: klimatische Bedingungen, Vielfalt der Landschaft, Entwicklungen auf dem Markt, touristische Interessen, Bodengesundheit – gesunde Lebensmittel – Gesundheit für Mensch und Tier, Kreislaufwirtschaft… Auch wenn die Idee noch nicht auf ungeteilte Zustimmung trifft, so sind sich doch alle 5 Organisationen und mit ihnen große Teile der  Bevölkerung darin sicher, dass in Kürze niemand mehr darüber zweifelt.“ Die Organisationen verlangen Aufklärung und gehen davon aus, „dass vorerst keine weiteren Maßnahmen zur Errichtung des Versuchsfeldes am geplanten Standort stattfinden.“

Das Versuchsfeld der Laimburg wird andererseits vom Bauernbund begrüßt. Der Bezirksbauernrat hat dies in der vergangenen Woche beschlossen. Eigentlich hätten diesbezügliche Signale von den BB-Ortsgruppen in der Gemeinde Mals kommen sollen, sagt Bezirksbauernbundobmann Andreas Tappeiner. Aber da sei seit Herbst 2011 nichts gekommen. Auch ViP-Obmann Karl Dietl ist für das Versuchsfeld. Aufgrund der Studie könne man konkrete Vorgehensweisen ableiten.
Günther Wallnöfer sieht das so: Er ist der Meinung, dass bei den vor Ort herrschenden Windverhältnissen ein Nebeneinander von intensiven Obstbau und Grünland kaum möglich ist. Das soll durch das Versuchsfeld bewiesen werden. Aber er fordert ein Moratorium für den Obstbau in der Gemeinde Mals. Bis konkrete Ergebnisse vorliegen. Detail am Rande: Angrenzend an das Versuchsfeld und exakt in der üblichen Windrichtung liegt nicht ein übliches Grünlandfeld. Es ist eine Wiese von Wallnöfers Biobetrieb.


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