Dienstag, 20 September 2011 00:00

Nationalpark Stilfserjoch: Besuch aus Fernost Fachlicher Austausch bedeutet Geben und Empfangen

Artikel bewerten
(0 Stimmen)

Wolfgang Platter, am Tag des Apostels Matthäus, 21. September 2011

DSC_6546Im heurigen Sommer haben uns im Nationalpark Stilfserjoch zwei Delegationen von Wissenschaftlern, Universitätslehrern und Schutzgebietsmanagern aus Fernost besucht. Der Blick über den eigenen Gartenzaun ist wichtig und für beide Seiten, den Besucher und den Gastgeber, als eigene Standortbestimmung wichtig. Wenn Vergleiche nicht zu vorschnell und nicht nur oberflächlich gezogen werden, erwachsen aus ihnen Erkenntnisprozesse und Lernfortschritte. Die Betreuung von ausländischen Fachexperten ist die Vorbereitung und den Zeitaufwand wert, weil die gemeinsam bei Exkursionen und im Informationsaustausch verbrachten Tage nicht nur ein Geben, sondern auch ein befruchtendes Nehmen sind. Mein heutiger Beitrag ist den Besuchen von zwei Kleindelegationen aus Südkorea  und aus Japan gewidmet.

Besuch aus Südkorea
Am 14. Juli hatten wir im trentiner Anteil des Nationalparks Stilfserjoch Besuch einer vierköpfigen Delegation aus Südkorea. Die Teilnehmer waren einerseits Planer und Manager von Schutzgebieten aus dem südkoreanischen Umweltministerium und andererseits Forscher und Universitätslehrer: Herr Tae Han NAM ist zuständig für die Konzeptentwicklung und Planung von Schutzgebieten im Umweltministerium, Jeol Seong NAM hingegen kümmert sich um das Management in den südkoreanischen Nationalparken. Bei einer Landesfläche von 98.500 km² (entspricht 1/3 der Fläche Italiens) und einer Einwohnerzahl von 49,2 Millionen Menschen hat Südkorea in den Jahren 1967 bis 1988 insgesamt 20 Nationalparks ausgewiesen. Dabei machen die Gebirgsnationalparks mit 3.900 km²  3,9 % der Landesfläche und die marinen Reservate mit 2.680 km²  2,7 % der Landesfläche aus. Insgesamt stehen also 6,6 % des südkoreanischen Staatsgebietes unter Schutz mit der Klassifizierung Nationalpark.

Herr Hyun Chan SUNG ist Professor für Landschaftarchitektur  an der Dankook Universität in Cheonan City  und Mitglied der koreanischen Nationalpark-Kommission. Und Herr Young Jin HUR ist Vorsitzender einer koreanischen Stiftung, welche sich des Umwelt- und Landschaftsschutzes annimmt. Das Hauptinteresse der Südkoreaner beim Besuch im Nationalpark Stilfserjoch galt folgenden Themen:
•    dem gesetzliche Regelwerk für National- und Regionalparke in Italien,
•    der Organisation der Verwaltung in italienischen Schutzgebieten,
•    den vorbeugenden und kompensatorischen Maßnahmen im Bereich der Landschaftspflege,
•    den Programmelementen der Umweltbildung und den Bausteinen der Umwelterziehung,
•    den heißen Eisen im Spannungsfeld Ökologie und Ökonomie im Management von Naturschutzgebieten.

Zum einordnenden  Vergleich zwischen den koreanischen
Nationalparks und den Schutzgebieten im Alpenraum:
Im  österreichischen Alpenraum sind rund 3,9 % der Fläche als Nationalpark und 4,6 % als Naturschutzgebiet geschützt. Weitreichende Schutzbestrebungen bestehen somit auf 8,5 % des Berggebietes Österreichs. Die Schweiz besitzt keine Tradition in der Ausweisung großflächiger Schutzgebiete. Lediglich 3 % der Schweizer Alpenfläche sind in dieser Form geschützt, davon ist der bisher einzige Nationalpark der Schweiz der älteste Europas. Er wird im Jahre 2014 100 Jahre alt. Als eine Besonderheit der Schweiz darf der weit fortgeschrittene Biotopschutz kleinerer Flächen gelten. In Frankreich sind 1,3 % der Alpenfläche als 26 regionale Naturschutzgebiete geschützt, 5,2 % als drei Nationalparks. Im gesamten Alpenraum gibt es 115 Schutzgebiete über 1.000  ha Fläche. Die großflächigen Naturschutzgebiete in den Alpen beanspruchen eine Gesamtfläche von 24.260 km² (entspricht der 3,2 fachen Landesfläche Südtirols). Die Schutzgebiete im Alpenraum setzen sich aus 13 Nationalparks, 68 Naturschutzgebieten und 34 Regionalparks in Italien und Frankreich zusammen.

Besuch aus Hokkaido in Japan
Ende August hatten wir im südtiroler Flächenanteil des Nationalparks Stilfserjoch Besuch aus Japan und Slowenien. Der Universitätslehrer und Forscher Prof. Hiromasa IGOTA von der Rauno Gakuen Universität in Ebetsu auf der japanischen Nordinsel Hokkaido ist mit zwei seiner Studentinnen zu uns gekommen. Sein Hauptinteresse galt der Regulierung von Rotwild im Vinschgauer Anteil des  Nationalparks. Dr. Igor Tavcar hat als Übersetzer fungiert. Dr. Tavcar ist gebürtiger Slowene, Jäger und Mediziner  mit einer Ausbildung zum Facharzt für Chirurgie an verschiedenen bundesdeutschen Universitäten und Arbeitsaufenthalten an Krankenhäusern  in Italien und in verschiedenen südostasiatischen Staaten wie Kambodscha und Vietnam. Der Besuch des japanischen Wissenschaftlers in unserem Nationalpark ist über den Kontakt zum stellvertretenden Landesjägermeister Südtirols Rino Masera  am Rande der Weltjahreskonferenz der Jäger in Russland zu Stande gekommen.

Management großer Hirschdichten
Das Hauptinteresse von Prof. Igota galt dem Studium der Problematiken von großen Dichten von Rotwild und den daraus resultierenden Schäden in der Land- und Forstwirtschaft. Wir haben ihm und seinen Studentinnen die Schadensverhütung und die Schadensvergütung am Beispiel der Sonderkulturen mit Beeren-Anbau im Martelltal gezeigt, ebenso wie die Verbissschäden am subalpinen Nadelwald. Unsere Managementpläne zur Reduktion der Dichte des Rotwildes am Vinschgauer Nörderberg unter Beteiligung der lokalen Jägerschaft waren ebenfalls Teil des Erfahrungsaustausches. Vor 11 Jahren wurde bekanntlich mit herbstlichen Abschüssen von Rotwild begonnen und bis im Herbst 2010 wurden inzwischen fast 4.000 Stück Rotwild im Vinschgauer Nationalparkgebiet und in den angrenzenden Jagdrevieren Latsch und Kastelbell entnommen. Ziel ist die Reduktion der Rotwild-Dichte von 9,7 Stück/km² (Stand im Jahre 2000) auf 4,0 St./km². Diese angepeilte Dichte würde die Verjüngungsfunktion des Bergwaldes zulassen und entspräche in absoluten Zahlen einer Rotwildpopulation  von ca. 700 Stück im Vinschgauer Nationalparkgebiet.

DSC_5763Die Sika-Hirsche auf Hokkaido
Auf der japanischen Nordinsel Hokkaido gibt es ca. 600.000 Sika-Hirsche. 100.000 davon werden jährlich durch Jagd entnommen. Zur besseren Einordnung ein Größenvergleich: Die Fläche der japanischen Nordinsel Hokkaido entspricht der Fläche Österreichs. Die Entnahme von 1/6 der Population reicht aber noch nicht aus, um die Schäden in den landwirtschaftlichen Produktionsflächen einzugrenzen und die häufigen Zusammenstöße und Autounfälle mit Sika-Hirschen auf den Straßen Hokkaidos zu reduzieren. Prof. Igota hat den wissenschaftlichen Auftrag, einen Lösungsansatz zu erarbeiten. Auch aus diesem Grund hat er die Studienreise nach Europa angetreten, in deren Rahmen er verschiedene Managementmuster in Schutzgebieten und jagdliche Organisationsformen in freien Jagdrevieren in Slowenien, Südtirol und Bayern studiert. Prof. Igota sagte anlässlich seiner Exkursionen im Martell- und im Trafoital, dass die Anzahl der Jäger in Japan abnehmend, die gesellschaftliche Kritik an der Jagd hingegen zunehmend sei.
Ein weiteres Interessensgebiet des japanischen Wissenschaftlers galt den verschiedenen Nischenprodukten der südtiroler Berglandwirtschaft und den kurzen Kreisläufen zwischen Produzent und Verbraucher. In Japan habe die Nutzung von Wildbret in der Gastronomie noch eine sehr geringe  Tradition. Vom Aroma der Marteller Erdbeeren aus der Späternte in den Hochlagen bei Grogg waren der japanische Professor und seine Studentinnen jedenfalls hellauf begeistert.

Nationalpark Stilfserjoch

Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau


Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /www/htdocs/w00fb819/vinschgerwind.it/templates/purity_iii/html/com_k2/templates/default/item.php on line 248
Gelesen 3939 mal

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.