Montag, 06 Juni 2016 09:26

Nationalpark Stilfserjoch - Monitoring der faunistisches Biodiversität - Ein Zwischenbericht

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DSC 3349Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Medardus, 8. Juni 2016

Der Artenreichtum von Pflanzen und Tieren in der jeweiligen Klimazone hängt von der Vielfalt, Größe  und dem Grad der Naturbelassenheit der jeweiligen Lebensräume ab. Seit der Industriellen Revolution mit deren technischen Errungenschaften und der Nutzung von Erdöl in den Verbrennungsmotoren haben wir Menschen in den letzten 150 Jahren die Lebensräume vieler Pflanzen- und Tierarten massiv verändert, verkleinert, verschlechtert, übernutzt,  zerstört.

Diese unsere Aktivitäten bis hin zur Vertreibung indigener Völker, Landraub, Flächenverlust, Verinselungen von Lebensräumen, Vergiftungen und lang anhaltenden und nachwirkenden Belastungen von Böden, Gewässern und der Luft sind Mitverursacher für die besorgniserregende Abnahme der biologischen Vielfalt.
Die biologische Vielfalt umfasst die drei Bereiche der Artenvielfalt, der Vielfalt der Ökosysteme und der genetischen Vielfalt.
Unser Faktenwissen über Stellenwert und Bedeutung von Biodiversität, weltweit und regional, wäre groß und umfassend genug, aber es fehlt 010C1an unserer Entschiedenheit zur Umsetzung bestimmter Konsequenzen. Wenn wir die biologische Vielfalt in Zukunft und für die Zukunft nicht weiter mit besorgniserregender Geschwindigkeit verringern wollen, müssen wir zu einer neuen Kultur des Wirtschaftens finden, die auch Bescheidenheit, Rücksicht und Verzicht beinhaltet. Unser Verständnis muss umfassender werden, über den eigenen Gartenzaun des Egoismus hinauslangen, die Verantwortung für Mitgeschöpfe und Natur stärker miteinbeziehen und die Entwicklungsunterschiede zwischen Süd- und Nordhalbkugel anerkennen. Und wir müssen die internationalen, nationalen und regionalen Schutzbestimmungen, Abkommen und Konventionen ernst nehmen.

Konvention von Rio 1992
Vor nunmehr 24 Jahren war am 5. Juni 1992 während des Gipfeltreffens der Staatschefs die Konvention zur Artenvielfalt von Rio de Janeiro unterzeichnet (Convention on Biological Diversity CBD) worden. In Italien ist die Biodiversitätskonvention von Rio am 14. Juli 1994 in Kraft getreten. Mit den zwei Richtlinien 79/409 EWG zum Vogelschutz und 92/43/EWG Flora Fauna Habitat hat die Europäische Gemeinschaft das Regelwerk von Natura 2000 geschaffen.
266C4Das Jahr 2010 wurde von den Vereinten Nationen zum internationalen Jahr der Biodiversität ausgerufen. Vom 20. bis 22. Mai 2010 wurde auf Einrufung des italienischen Umweltministeriums an der römischen Universität „La Sapienza“ die erste nationale Konferenz zur Biodiversität abgehalten. In deren Folge wurde vom Ministerrat für die Dekade 2011-2020 das Dokument zur nationalen Strategie zum Erhalt der Biodiversität verabschiedet. Aber Programme sollen nicht nur von politischen Gremien verabschiedet, sondern auch vor Ort von jedem in seinem Kompetenzbereich umgesetzt werden. Jetzt sind wir auf halbem Weg in der Zehnjahresperiode für das Biodiversitätsprogramm 2011-2020.

Faunistisches Monitoring im NPS
Der Nationalpark Stilfserjoch hat mit den drei anderen Nationalparken im italienischen Teil des Alpenbogens Gran Paradiso, Val Grande und Dolomiti Bellunesi als Projektpartner seit dem Sommer 2013 in den drei Jahren 2013-2015 auf ausgewählten Probeflächen entlang eines Höhentransektes faunistisches Monitoring von Zeigerarten betrieben. Dabei sind mit einheitlichen und standardisierten Methoden in allen vier Nationalparken verschiedene Tierfamilien und -gattungen der Wirbellosen und die Vögel als Wirbeltiere erhoben worden. Die Untersuchungen haben auf 76 Probeflächen von den Haupttalsohlen im Park bis in die alpine Stufe oberhalb der Wald- und Baumgrenze betroffen und sind in zwei aufeinanderfolgenden Sommern wiederholt worden. Durch die Wiederholung werden die Datenqualität und der Aussagewert der Ergebnisse abgesicherter. Von den wirbellosen Tieren haben wir beispielsweise aus dem Stamm der Insekten die Ameisen, die Heuschrecken, die Laufkäfer, die Tagfalter erhoben. Diese Taxa von Tieren werden allgemein als sensible Bioindikatoren angesehen. Die Zuordnung zu den verschiedenen Arten, deren Bestimmung schwierig ist und nur unter dem Mikroskop erfolgen kann, ist zur Zeit noch im Gange. Taxonomen arbeiten dafür am Naturmuseum Trient oder an der Universität Pavia. In fünf Jahren sollen die Felderhebungen auf den gleichen Probeflächen methodengleich und die Bestimmungen schwieriger Arten im Labor wiederholt werden. Wenn dann beispielweise die Artenanzahl der Tagschmetterlinge gegenüber der Ersterhebung abgenommen hat, hat sich die Artenvielfalt verschlechtert. Aus längeren Datenreihen lassen sich dann abgesicherte und aussagestarke Folgerungen über den Zustand der Biodiversität in den alpinen Lebensräumen treffen.

Zwischenergebnisse
068C2 RauchschwalbeOrnithologisches Monitoring: Im Dreijahreszeitraum konnten entlang der insgesamt 12 Höhengradienten im trentiner, lombardfischen und Südtiroler Anteil des Nationalparks Stilfserjoch insgesamt 89 Vogelarten nachgewiesen werden. ¾ der im Nationalpark Stilfserjoch erfassten Arten gehören zur Ordnung der Passeriformes (Sperlingsvögel). Zum einordnenden Vergleich: Der Vogelatlas Südtirol listet für unser Land Südtirol insgesamt 120 Arten von Brutvögeln auf.
Das Monitoring der Wirbellosen: Unter den wirbellosen Tieren gelten viele Taxa (Familien, Gattungen, Arten) als sensible und aussagekräftige Indikatoren für die Biodiversität. Im Zuge unseres Monitorings haben wir folgende Taxa erhoben: die Laufkäfer (Familie Carabidae), die Kurzflügler (Staphylinidae), die Radnetz-Spinnen (Aracnidi Aranei),  die Tagfalter (Lepidopterae), die Heuschrecken (Orthoptera), die Ameisen (Formicidae) und entlang von einigen Bachläufen und stehenden Gewässern die Libellen (Odonata).
Von den Laufkäfern haben unsere Experten im Dreijahreszeitraum 2013-2015 insgesamt 90 Arten gefunden. 64 der 90 Arten kommen im lombardischen Anteil des NPS vor, 66 im Südtiroler Flächenanteil und 59 im trentiner Parkgebiet.
Die Bestimmung der Spinnen, Kurzflügler  und Ameisen nicht nur nach Familien und Gattungen, sondern bis in die Art ist schwierig und erfolgt nach Fang und Konservierung der Tiere teilweise unter zu Hilfenahme des Mikroskops im Labor. Die taxonomische Identifikation dieser Arten durch die Spezialisten des Naturmuseums Trient ist derzeit noch in Gange und soll 2016 abgeschlossen werden.
Bei den Tagfaltern wurden im Dreijahreszeitraum 2013 – 2015 innerhalb der Probeflächen im Nationalpark Stilfserjoch insgesamt 132 Schmetterlingsarten identifiziert. Davon entfielen auf den Südtiroler Anteil 96 Arten, welche auf folgende Familien aufgeteilt waren: Dickkopffalter (Hesperiidae 13 Arten), Ritterfalter (Papilionidae 3), Weißlinge (Pieridae 12), Bläulinge (Lycaenidae  25), Edelfalter (Nymphalidae 43). Außerhalb der Probeflächen konnten noch 12 weitere Arten von Tagfaltern erhoben werden. Der Erhebungszeitraum lag im Jahre 2015 zwischen 10. Juni und 3. September.
Bei den Heuschrecken konnten unsere Taxonomen insgesamt 42 Arten, identifizieren, 33 davon auch im Südtiroler Parkanteil. Die vier häufigsten Arten, die in allen erfassten Tälern des Nationalparks vorkamen, waren dabei der Gemeine Grashüpfer (Chorthippus parallelus), der Bunte Grashüfer ( Omocestus viridulus), die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (Podisma pedestris) und der Heidegrashüpfer (Stenobothrus lineatus).
Die Erhebung der Libellen ist unsystematisch entlang von einigen Gewässerläufen und an stehenden Gewässern erfolgt und hat eine erste Datenbank zu den vorkommenden Arten ergeben. Im Südtiroler Parkanteil konnten in den zwei Sommern 2014-15 insgesamt 10 Arten nachgewiesen werden, welche den fünf Libellenfamilien der Schlanklibellen (Coenogrioniidae, 3 Arten), Edellibellen (Aeshnidae 4), Quelljungfern (Cordulogastridae 1), Falkenlibellen (Corduliidae 1) und Segellibellen (Libellulidae 1) angehören.

Die Kinderstuben der Fledermäuse
Alle Fledermaus-Arten sind Natura 2000-Arten, welche ob ihres Gefährdungsgrades höchste Schutzstufe in der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft genießen. In den Jahren 2013-2014 hatten wir den im Nationalpark Stilfserjoch vorkommenden Arten von Fledermäusen nachgespürt und eine erste Datenbank erarbeitet. Dabei konnten im Nationalpark Stilfserjoch insgesamt 20 der 42 084C1in Italien derzeit beschriebenen Arten erfasst werden. Darunter waren im kontinentalen Klima der Zentralalpen mediterrane und boreale Fledermaus-Arten zu finden. Im Jahre 2015 haben die Fledermausexperten 12 Kinderstuben der Fledermäuse in den drei Länderanteilen des Nationalparks und im parkangrenzenden Gebiet genauer unter die Lupe genommen. Dabei wurden etwa auch die Temperaturunterschiede innerhalb der Dachgebälke, die als Kinderstuben dienen, und im umliegenden Flug- und Jagdgebiet erhoben. In der Regel sind die Temperaturen innerhalb der Kinderstuben deutlich höher als im Umland. Dieser Umstand trägt zum guten Gedeihen und kräftigen Wachstum der Jungtiere bei: Durch die hohen Temperaturen in der Kinderstube können die Jungen mehr Energie aus der Muttermilch in ihr Wachstum investieren als in die Regulierung ihrer Körpertemperatur.
Die größte Kinderstube von Fledermäusen im Vinschgau befindet sich übrigens im Kirchturm von Vetzan. Dort haben die Forscher der Universität Insubria Varese im Sommer 2015 von den zwei Fledermausarten Großes Mausohr (Myotis myotis) und Kleines Mausohr (Myotis blythii) in insgesamt 7 Erhebungstagen 2.400 Alttiere und 495 Jungtiere erfasst. Diese hohe Zahl an einem „Gunststandort“ darf aber nicht zum Schluss verleiten, dass es um die bedrohten Fledermäuse gut bestellt ist. So konnten etwa von der Langohrfledermaus (Plecotus macrobullaris) in der Lourdeskirche von Laas 2015 keine Jungen beobachtet werden. Und die für Prad bekannte Kinderstube der Mopsfledermaus (Barbastella barbastellus) war 2015 verwaist.

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