Dienstag, 23 Juni 2015 12:00

Wohnt ihr schon oder sucht ihr noch?

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s6 6657Matsch - Die Abwanderung aus den peripheren Gebieten ist kein besonders aktuelles und weiß Gott kein spezielles Matscher Problem. Doch gerade in Matsch wird es immer wieder thematisiert, von vielen im Dorf. Gerade die jungen „Buabn“ sind es, die Matsch verlassen- verlassen müssen. Allein 14 waren es in den letzten zwei Jahren. Eine Spurensuche nach den Ursachen.

von Karin Thöni


Eine Geschichte von vielen:
Nennen wir ihn Florian. 24 Jahre. Matscher. Sohn einer fünfköpfigen Familie.

Florian arbeitet in der mehr oder weniger nahen Schweiz. Bis jetzt fuhr er jeden Tag von zu Hause zur Arbeit und abends wieder zurück. Nach Matsch. In sein Heimatdorf. Doch nun wird es ihm zu eng zu Hause. Seine Freundin und er wollen endlich zusammenziehen. Zu Hause ist der Platz rar. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach einer Wohnung. In Matsch. Florian will in seinem Dorf bleiben. Hier hat er seine Freunde, seine Familie, seine Wurzeln.
Doch die Suche stellt sich als schier aussichtslos heraus. Es gibt keine freien, mietbaren Wohnungen in Matsch. Überdies gibt  es auch kaum besetzte. Es gibt Bauplätze im geförderten, wie auch im freien Wohnbau, aber nichts zum Mieten. Florian will und kann noch nicht bauen, auch weil ihm mit 24 das Geld noch fehlt und auch weil er sich noch zu jung fühlt, um sich so festzulegen im Leben.
Nach einem halben Jahr der Suche, des „sich Herumhörens“ schließlich gibt Florian auf. Von Kollegen hat er von einer Wohnung in Mals gehört, recht zentral und bezahlbar. Die Freundin kann mit dem Zug zur Arbeit.

Die Realität
So oder ähnlich hören sich viele Geschichten von jungen Matschern und Matscherinnen an. Sie machen ihre ersten Schritte ins Erwachsenenleben, in die Selbstständigkeit. Wenn es einen Hof gibt, übernimmt meist einer der s6 generationKinder diesen und die anderen suchen sich eine andere Bleibe. Sicher, einige können sich eine kleine Wohnung ausbauen im Elternhaus, einige wären so oder so abgewandert aus anderen Gründen.
Aber viele der jungen Matscher wollten gerne bleiben und konnten es nicht. So ziehen immer mehr weg, hauptsächlich nach Mals. Und Matsch blutet langsam aber sicher aus. Und, so sagen die verbliebenen Matscher, darunter auch der Fraktionsvorsteher Vinzenz Telser: „Wenn sie amol aweck sein, kemman sie lai mea schwaar wiedr.“ Klar, sie erkennen bald die Vorzüge die ein Dorf wie Mals auch bietet: eventuelle Arbeitsplätze, zentrale Lage, Geschäfte, Zug- und Busanbindungen und eben eine Auswahl an Mietwohnungen.
Matsch indes hat natürlich auch jede Menge Infrastrukturen: einen Kindergarten, eine Grundschule, ein Kulturhaus, eine Bibliothek, ein nagelneues Musikprobelokal, einen Sportplatz und eine Vielzahl an Vereinen: Sportverein, AVS Ortsstelle, Musikkapelle, Chor, Feuerwehr, Bauernjugend, Bäuerinnenorganisation, Kleintierzüchter, Krampussverein, Jugendverein... Aber fehlen ihnen allen bald die Mitglieder und fehlen den ach so schönen Gebäuden bald die Menschen, die ihnen Leben einhauchen?

Was immer so war, muss nicht immer so bleiben
Historisch betrachtet ist dieses Problem der Abwanderung fast so alt wie die Besiedelung der meisten Seitentäler selbst. Landflucht gab es immer schon. In Matsch war die maximal mögliche Ausdehnung der landwirtschaftlichen Nutzflächen bereits bis im Jahr 1780 im Großen und Ganzen erreicht. Intensivierung konnte noch einen Teil der überschüssigen Bevölkerung auffangen, doch der große Teil war zur dauernden oder saisonalen Abwanderung schon damals gezwungen.
Später, innerhalb der Jahre 1883 und 1892 wanderten zum Beispiel 25 Personen allein nach Amerika aus, das waren 4 Prozent der damaligen Matscher Bevölkerung. Und Abwanderung war immer wieder Thema: in der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg, nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die sechziger Jahre, heute. Als dann in den Siebzigern auch noch die Geburten rapide zurückgingen und die Abwanderung unvermindert weiterging, kam es weiter zu einem Bevölkerungsrückgang. Damals waren es vor allem die fehlenden Arbeitsplätze, die in die Schweiz, nach Liechtenstein, Österreich und den Mittelvinschgau führten. Mobil war man damals im Vergleich zu heute nur gering.  (historische Daten aus: Rechenmacher Raimund, Matsch, Ein Vinschgauer Hochtal im Wandel der Zeit, Dipl. Innsbruck 1986, S. 64ff)

Das Gesetz und die Gemeinde
Die Situation ist eine schwierige. Schon einmal hat die Gemeinde einen Anlauf gestartet, um die prekäre Situation zu verbessern: Ein altes Gebäude sollte von der Gemeinde aufgekauft, hergerichtet und an junge Leute vermietet s6 schulhauswerden. Doch wie so oft liegt der Hase in der Gesetzeslage begraben: Vermietet die Gemeinde Wohnungen, darf sie nur den Sozialmietzins verlangen, so der wiedergewählte Malser BM Ulrich Veith. Und der liegt bei circa 40 Euro monatlich. An sich kein Problem würde man meinen, eine günstige Miete ist nie schlecht. Doch, so sagt Veith, hält er es für keinen guten Umgang mit Steuergeldern, wenn die Gemeinde Wohnungen für Einzelne baut, ohne eine normale Miete kassieren zu können.  Das wäre, nach Veith, Vorteile schaffen für einige Wenige und nicht für die Allgemeinheit. Dabei stellt sich aber auch die Frage, ob es nicht doch der Allgemeinheit dienen würde, wenn auf lange Sicht, Infrastrukturen wie Kindergarten und Schule im Dorf erhalten werden könnten. Denn Garantie gibt es natürlich keine, dass die Jungen dann auch in Matsch bleiben und Familien gründen. Nur die Möglichkeit wäre eine größere.

Tommasini und sein Sonderfonds
Das Landeswohnbaugesetz müsste nur um diesen vermeintlich kleinen Passus verändert werden: Könnte die Gemeinde den normalen Mietzins verlangen, wäre es auch vertretbar, Wohnungen für Einzelne in der Peripherie zu bauen, so Veith. Doch schon andere Gemeinden hatten damit so ihre Probleme. Der Bürgermeister hat das Problem auch schon bei den Zuständigen vorgebracht, getan hat sich bisher noch nichts. Und in einem Telefonat s6 problemmit dem Sekretär des Landesrats für sozialen Wohnbau wurde ich das Gefühl nicht los, gewollt nicht verstanden zu werden: Es sei doch noch nie das Problem gewesen, dass die Miete zu niedrig sei. Meist sei doch das Problem, dass die Miete zu hoch sei. Doch will man, so eine schriftliche Stellungnahme von Landesrat Tommasini, dem Prozess gemeinsam entgegenwirken: Ein Sonderfonds soll eingerichtet werden, um den Bau von Sozialwohnungen in den strukturschwachen Gebieten zu ermöglichen.
Doch steht den jungen Burschen meist auf Grund des Punktesystems kaum eine Sozialwohnung zu. Und wieder kehren wir zum Problem zurück.
Mit politischem Nachdruck muss man hier wohl dahinter sein und da kann und muss sowohl die Gemeinde, als auch die Fraktion nach Lösungen suchen. Vielleicht auch nach unkonventionellen, neuen.

Matscher Lösungen
Die Eigenverwaltung Matsch, so teilt mir dessen Sekretär Karl Schwabl in einem Gespräch mit, dürfte, selbst wenn sie wollte und die finanziellen Mittel gar hätte, keine Wohnungen bauen. Die Fraktion ist für Wald und Weide zuständig, mehr nicht. Die Gemeinde könnte hingegen alte Bausubstanz, und derer gibt es in Matsch zur Genüge, kaufen, Wohnungen bauen und diese wiederverkaufen. Eine Möglichkeit.
Beim Treffen der Vereinsvorstände und der Erarbeitung des Fünfjahresprogramms unter der Koordinierung der SVP-Ortsgruppe wurde das Problem der Abwanderung erneut besprochen und auf das Programm gesetzt. Wie schon fünf Jahre davor. In Gesprächen mit den Jungen merkt man allerdings, dass jedes Jahr, in dem nichts s6 umbaupassiert, ein verlorenes ist. Sie gehen, die einen mehr, die anderen weniger freiwillig. Und nur ein kleiner Prozentsatz wird wohl wieder zurückkehren.
Doch tut sich nicht bald etwas, könnte es über kurz oder lang traurig ausschauen für Matsch. Dann hilft es auch nichts, wenn sie patriotisch sind die Matscher und zusammenhalten wie sonst kaum eine Dorfgemeinschaft.
Es gibt viele „Wenn“ und „Aber“ in dieser Problematik, viele verschiedene Lebensgeschichten und Entscheidungen die man nicht über einen Kamm scheren und nicht auf einen Punkt bringen kann. Doch dass mit dem Bau von zwei, drei Mietwohnungen einige der Jungen in Matsch blieben, auch trotz der fehlenden Arbeitsplätze,  das wäre doch einen Versuch wert?
Bei all den anderen Dingen die sich unser Land und unsere Gemeinden leisten…

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