Dienstag, 16 September 2014 09:06

Die Reformpädagogik an der Grundschule Goldrain

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s43 9781Schule macht sich auf den Weg, sagt Schuldirektor Werner Altstätter. Die Grundschule Goldrain hat vor zehn Jahren den Weg der Reformpädagogik eingeschlagen. Der erst kürzlich fertiggestellte Schulbau nimmt dieses – im Vinschgau einzigartige – Unterrichtskonzept auf und entspricht „in seinen Details reformpädagogischen Vorstellungen“, sagt Architekt Werner Pircher. Die Handwerker haben unter Hochdruck gearbeitet, damit der Schulbau in der sprichwörtlich letzten Sekunde fertig gestellt wurde.


Den Rhythmus in der Grundschule Goldrain bestimmt nicht eine Stundentafel, nein, den Rhythmus bestimmen die Kinder selbst. Sitzreihen gibt es ebenso wenig wie Frontalunterricht. Die Klassenverbände sind aufgelöst. Der Unterricht in der Grundschule Goldrain orientiert sich am Kind, baut auf pädagogische Prinzipien wie Eigenverantwortlichkeit, Eigenaktivität, Teamwork. Die Zeit spielt eine untergeordnete Rolle. So könnte man – wenn man will - Reformpädagogik in geraffter Form beschreiben. Der Tag, der Schulalltag, beginnt für die Grundschüler in Goldrain mit einem sogenannten Morgenkreis. „Da können die Kinder ihr Herz ausschütten“, sagt Schuldirektor Werner Altstätter, „positive, wie negative Erfahrungen haben Platz“. Der Tagesablauf der Kinder wird hier, in diesem s43 A9780Morgenkreis, abgeklärt und abgesteckt und mündet in die konkrete Arbeitsplanung, die Lehrpersonen und Kinder gemeinsam ausarbeiten. Der Einführungsunterricht weicht der Freiarbeit. Die Kinder verteilen sich in die verschiedenen Räume und beginnen mit der Arbeit. Nach Abschluss der Arbeiten werden die Ergebnisse präsentiert und diskutiert. Was ist mir heute gut gelungen, was weniger gut: Der Tag endet mit einer Reflexionsphase, einer Schlussrunde, bei der die geleisteten Arbeiten der Gruppe und der Lehrperson vorgestellt und in den Arbeitsplan eingetragen werden. Am Ende der Arbeitswoche, die nie am Montag beginnt und am Freitag endet, sondern am Mittwoch, haben die Kinder zudem die Möglichkeit persönlich vorbereitete Themen zu präsentieren. Schularbeiten oder mündliche Prüfungen gibt es keine. Oftmals wird die Reformpädagogik mit den pädagogischen Leitsätzen der Montessori-Pädagogik verwechselt. Doch die Reformpädagogik ist mit Konzepten von mehreren Pädagogen aufgeladen: Von Cèlestin Freinet etwa oder Helen Parkhurst. Die Fachcurricula sind dieselben wie in der Regelschule, nur: Der Weg dorthin ist ein anderer.  
Die ersten drei Klassen werden gemeinsam unterrichtet, die Viert- und Fünftklässler genauso. Jahrgangsübergreifende Klassen bestimmen demnach das Schulbild. Rund 50 Kinder besuchen in diesem Schuljahr die Reformpädagogische Grundschule in Goldrain. Gestartet ist das reformpädagogische Konzept im Schuljahr 2003/2004 auf Betreiben der Schulstellenleiterin Veronika Traut. Fast das gesamte vergangene Schuljahr haben Bohrgeräusche den Unterricht begleitet. Während der neue Schulbau im großzügigen Schulhof nach und nach entstand, ging der Unterricht in der alten Schule weiter. „Die Handwerker haben große Rücksicht genommen“, lobt Direktor Altstätter.
s41 9772„Insgesamt passt der neue Bau zum Konzept der Reformpädagogik an der Grundschule Goldrain. Es ist ein gediegener Bau geworden und eine wohnliche Schule. Hinter uns liegt eine intensive Planungs- und Bauphase. Im gegenseitigen Respekt ist die Bauphase gut über die Bühne gebracht worden.“         
Direktor SSP Latsch, Werner Altstätter


Die Architektur.
„Das reformpädagogische Konzept braucht Freiräume“, sagt Schuldirektor Altstätter. Er, Altstätter, und Veronika Traut, Grundschullehrerin und Initiatorin der Reformpädagogik in Goldrain haben viele Wünsche an den Latscher Architekten Werner Pircher weitergereicht. Pircher hat sich mit dem reformpädagogischen Konzept vertraut gemacht und einen Bau entworfen, der möglichst viele Vorgaben integriert: jene der Schule und jene des Bauherren, der Gemeinde Latsch. Kein leichtes Unterfangen, und doch ist der Seiltanz gelungen. Pircher schuf einen schlichten Baukörper, der mit den Fensterelementen spielt. Manche blicken - wie Fernrohre - in die Umgebung, andere ziehen sich wieder ins Mauerwerk zurück. Der Zugang zur neuen Grundschule Goldrain erfolgt über einen farblich abweichenden Verbindungstrakt. „Dort befinden sich Stiegenhaus und Aufzug“, erklärt Architekt Pircher. Dieser Trakt sticht farblich hervor und ist – architektonisch gesehen - auch das Bindeglied zwischen Alt und Neu. Denn die alte Grundschule aus den 1970er Jahren steht hoch erhobenen Hauptes neben dem Neuen und sucht für seine oberen Geschosse noch nach einer neuen Aufgabe. Im Kellergeschoss hingegen hat die öffentliche Bibliothek ihren Platz gefunden und ist über die Schule und über den Schulhof zugänglich.
Im Inneren fällt eines sofort ins Auge: Der neue Schulbau besitzt keine Korridore. Ein Vorraum, der die Funktion einer Garderobe hat, verstaut Schuhe und Schultaschen, bevor man in die eigentliche Mitte des Baus – nach reformpädagogischen Vorgaben konzipiert – kommt. Herzstück hier ist die sogenannte offene Lernwelt, ein großer Raum, der mit seinem Interieur alles bereithält, was Kinder und Lehrpersonen für einen optimalen Unterricht brauchen. Ein architektonisches Raumwunder, das von einem Klassenraum und einem Atelier flankiert wird. Der Klassenraum kann nach Wunsch mit einer Schiebetrennwand Raum schaffen oder abgezirkelt werden. Im Atelier kann nach Herzenslust gekocht oder gebastelt werden. Zwischen den Räumen ermöglicht Glas großzügige Ein- und Ausblicke, die Übergänge bleiben fließend.
Hier, im untern Stockwerk werden die ersten drei Klassen unterrichtet. Abgeschlossen wird dieses Stockwerk räumlich mit den Waschzeilen und einer großen Agora, einem großen Gemeinschaftsraum, und spätestens hier angelangt, merkt man ganz deutlich das Gefühl von Freiheit und Weite. Hier treffen sich alle fünf Klassen und präsentieren u.a. persönlich erarbeitete Projekte.
Die Materialien sind nicht ganz gewöhnlich: Während Eiche in Industrieparkett als Holz vertraut daherkommt, ist der grüne Kautschukboden recht ungewöhnlich. „Wir haben bewusst Grün gewählt“, sagt Werner Pircher. Einmal beruhigt die Farbe grün, zum anderen vertrug der neue Schulbau auch etwas an Farbe, um nicht eintönig zu wirken. Pircher: „Wir haben überhaupt viel zu wenig Farbe in unseren Schulbauten.“ Kautschuk trägt die Treppe, die mit einem feinen, dunklen Stahlgeländer und umrahmt von einem Geländerelement aus Holz ins Obergeschoss führt. Das Obergeschoss unterscheidet sich in Raumangebot- und aufteilung vom Untergeschoss nur wenig: offene Lernwelt,  zwei abtrennbare Klassen, Nasszellen wechseln sich ab. Einzig das Lehrerzimmer und der sogenannte Sprachenraum, der auch dem Musikunterricht dient, bilden hier zusätzliche Freiräume. Für eine angenehme Atmosphäre sorgen Akustikdecken, die mit Resonatoren ausgestattet sind und Schall schlucken.

Drei Millionen Euro – geschätzt – kostet der Bau der neuen Grundschule Goldrain samt öffentlicher Bibliothek. Der Bau soll auf sich eventuell ändernde Schulsituationen reagieren können, das war den Latscher Gemeindeverwaltern, vor allem dem verstorbenen Bürgermeister Karl Weiss wichtig. Deshalb kann der Bau – wenn gewünscht – problemlos mit wenigen Eingriffen in eine Regelschule umfunktioniert werden. Das nur am Rande erwähnt. 

 

„Zeichen einer verantwortungsvollen Politik“

s44 1654Mauro Dalla Barba ist der zuständige Referent für Schule und Kultur in der Gemeinde Latsch. Der Vinschgerwind sprach mit ihm über den Werdegang der neuen Grundschule Goldrain, über Kosten und darüber, was mit der „alten“ Grundschule passieren soll.

Interview: Angelika Ploner

 

Vinschgerwind: Herr Referent, zufrieden mit dem Bau der neuen Grundschule Goldrain?
Mauro Dalla Barba: Wenn Sie das Gebäude meinen, kann der Bau gefallen oder nicht, das ist reine Geschmackssache und liegt alleine im Auge des Betrachters. Mir gefällt die neue Grundschule gut. Richtig zufrieden können wir als Gemeindeverwaltung aber erst sein, wenn sich die Lehrpersonen, aber vor allem die Kinder wohlfühlen. Wenn sich beide wohlfühlen, wird das Arbeiten bzw. das Lernen Spaß machen, dann haben wir alles richtig gemacht.

Die Grundschule Goldrain war kein leichtes Bauprojekt: Eine turbulente Planungsphase liegt hinter dem Bau und gar drei Bürgermeister überstand das Projekt bis es nun fertig ist. Erklären Sie kurz den Werdegang.
Der Wunsch nach einer Sanierung bzw. einem Neubau der Grundschule bestand seit vielen Jahren. Von verschiedenen Seiten hat es Vorschläge und Forderungen gegeben. Bereits 2007 hatte die Baukommission und der Gemeinderat ein Vorprojekt für den  Umbau und die Sanierung der Grundschule in Goldrain genehmigt. Viel Zeit hat die Frage gekostet, wie man die reformpädagogische Ausrichtung in einem Schulgebäude angemessen unterbringt. Diese Diskussionen, in welche auch Experten von allen Seiten einbezogen worden sind, haben sogar bis zu einem Vorschlag der deutschen Montag Stiftung geführt, welcher den Abbruch der Schule und des Kindergartens  und den Neubau von Schule, Kindergarten, Kitas, Kirche, Versammlungsagora und Sportanlagen vorgesehen hat.
Diesem Durcheinander hat die Gemeindeverwaltung mit dem Einsetzen einer Projektsteuerung im Jahr 2008 ein Ende gesetzt. Das Studio Comclic hat einen geordneten Dialog zwischen Gemeinde, Schule und Planer in die Wege geleitet, wobei es der Schule und dem Planer gelungen ist, die Gemeinde von einem Neubau der Schule zu überzeugen. Ziel der Schule war es, ein reformpädagogisches Pilotprojekt umzusetzen. Diese Zielsetzungen wurden vom damaligen Schullandesrat Otto Saurer nachdrücklich unterstützt.
In einem moderierten Prozess wurden alle Vor- und Nachteile der verschiedenen Projektvorschläge und die Anforderungen der reformpädagogischen Schule in gemeinsamen Sitzungen zwischen Lehrern, Schulverwaltung und Gemeinde durchgearbeitet. Im Sommer 2009 stand das Ergebnis dieses Dialoges mit der Entscheidung für den Neubau fest.
Im Herbst 2009 wurde das Vorprojekt für die neue Schule im Gemeinderat im Technischen Landesbeirat genehmigt. Im Oktober 2009 erfolgte die Ausschreibung des Planungsauftrages für die Ausarbeitung des Einreicheprojektes und des Ausführungsprojektes, welche Architekt Werner Pircher gewonnen hat.
Die Genehmigung und Validierung des Ausführungsprojektes für die Reformpädagogische Grundschule Goldrain mit Bilbiothek erfolgte schließlich im Oktober 2012. Inzwischen war das Landesbautengesetz außer Kraft gesetzt worden und der nationale Vergabekodex kam für die Vergabe der Arbeiten zur Anwendung. Unverzüglich erfolgte im November 2012 die Ausschreibung der Baumeisterarbeiten und der Reihe nach auch der anderen Gewerke. Der Zuschlag der Baumeisterarbeiten an das Bauunternehmen Latsch erfolgte am 12.02.2013, sodass das Unternehmen bereits im Mai 2013 mit den Bauarbeiten beginnen konnte. Nach etwas mehr als einem Jahr Bauzeit kann die Schule nun zu Beginn des Schuljahres 2014/2015 in Betrieb genommen werden.  

Wieviel kostet die fertig gestellte Grundschule der Gemeinde Latsch?
Die Baukosten für die neue Grundschule und die Bibliothek betragen zwei Millionen Euro. Dazu kommen die MwSt. und technische Spesen, also insgesamt kostet die Schule rund 2.900.000 Euro. Die definitiven Endabrechnungen werden zur Zeit erstellt. Dazu kommt noch die Einrichtung, welche für die Grundschule insgesamt 220.000 Euro ausmacht und für die Bibliothek rund 80.000 Euro.

Wie wichtig war der Gemeinde Latsch beim Bauvorhaben hiesigen Unternehmen den Zuschlag zu erteilen?
Durch die zwar aufwendige aber auf Qualität ausgerichtete Ausschreibung der Gewerke konnte die Schule mit lokalen Unternehmen verwirklicht werden. Wenn hiesige Unternehmen den Zuschlag erhalten bin ich persönlich immer sehr froh und gleichzeitig auch erleichtert. Einerseits unterstützen wir unsere heimische Wirtschaft und die Abwicklung eines so großen Bauvorhabens mit kompetenten einheimischen Handwerkern, welche man auch oft noch persönlich kennt, ist im Dialog und in der Umsetzung einfach ideal.

Ihren Vorgängern war es wichtig, dass der neue Schulbau, der eben nach reformpädagogischen Ansätzen gebaut wurde, ein Umfunktionieren in eine Regelschule nicht ausschließt. Warum?
Das ist für mich Zeichen einer verantwortungsvollen Politik. Dieser Bau ist für die Gemeinde Latsch eine große und wichtige Investition. Man kann nie genau sagen, ob die Entscheidungen, die wir heute treffen, auch in einigen Jahren oder Jahrzehnten richtig sind. Falsch wäre aber den Fokus nur in eine Richtung zu setzen. Sollte sich an der Unterrichtsform irgendwann etwas ändern, sind wir in der Neuausrichtung der Räume flexibel.

Im Rückblick: Welches war die größte Hürde, die das Bauprojekt zu nehmen hatte.
Die größte Hürde aus meiner Sicht war die Klärung der Grundsatzfrage, wie man die refompädagogische Ausrichtung in einem Schulgebäude angemessen unterbringt.

Ein Blick in die Zukunft: Hat die „alte“ Grundschule ausgedient oder wer oder was soll darin Heimat finden?
Die alte Grundschule hat sicherlich nicht ausgedient und ich bin zuversichtlich, dass wir diese leer gewordenen Räume einer sinnvollen Zweckbestimmung zuführen können. Zur Zufriedenheit der Bevölkerung von Goldrain und jener der Gemeindeverwaltung. Zuerst möchten wir den Neubau abschließen und dann widmen wir uns diesem Thema.

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