Dienstag, 19 August 2014 00:00

Südtirol 2021 - Ein Konzept zur Veränderung, das in der Schublade landet

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s7 3121Südtirol 2021 - Es ist ein Strategiepapier, eine Vision, Südtirol neu zu gestalten, europafit zu machen, die Wirtschaft und die sozialen Netze zu stärken, die Lebensqualität und die Umwelt zu sichern und die Bürger des Landes aktiv an der Zukunftsgestaltung zu beteiligen. Auf 86 Seiten haben Helmut Pinggera und Christoph Gufler im Jahre 2011 ein Entwicklungskonzept formuliert, das beim Rechnungshof und in einer Schublade des Landes gelandet ist.

von Heinrich Zoderer

Helmut Pinggera lebt seit 2007 in Bruneck. Ich treffe ihn dort, wir sitzen lange zusammen, er hat viel Zeit und viel zu erzählen.

20 Jahre lang, von 1992 bis 2012 war er Koordinator für EU-Projekte (Leader- und Interreg), zuerst im Vinschgau, dann für ganz Südtirol. In dieser Zeit hat er reichlich Erfahrung gesammelt, viele Projekte geplant und durchgeführt und Kontakte mit lokalen und internationalen Institutionen aufgebaut. Mit dem Alt-Landeshauptmann traf er sich regelmäßig. Er war ein Teil im alten System Südtirol und er wollte dieses System verändern. Sein gesamtes Wissen, seine langjährigen Erfahrungen sind in die Studie eingeflossen. Das Land hat dafür 35.000 Euro bezahlt, 25.000 an Pinggera und 10.000 an Christoph Gufler, den Altbürgermeister von Lana und ehemaligen Chef der SVP-Arbeitnehmer. Damals gab es eine Diskussion über die Randgemeinden mit hoher Abwanderung. Von der Handelskammer wurde 2011 eine Studie über die Bevölkerungsentwicklung veröffentlicht. Mit einem Minus von 6,5 Prozent zwischen 2002 und 2009 s6 spiraleverzeichnete die Gemeinde Stilfs die höchste prozentuelle Bevölkerungsabnahme aller Südtiroler Gemeinden. Prettau und Proveis waren zwei weitere Gemeinden mit großen Bevölkerungsverlusten. Diese demografische Entwicklung stellt eine „ernstzunehmende Bedrohung“ dar, so steht es auf Seite 82 in der Studie. Am 21. März 2011 wurde der Landesregierung ein Bericht der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe „Abwanderungsgebiete in Südtirol“ mit verschiedenen Empfehlungen vorgelegt. Um die ganze Thematik zu vertiefen, hat der Landeshauptmann Helmut Pinggera und Christoph Gufler beauftragt, ein Strategiepapier „Südtirol 2021“ auszuarbeiten. Dabei geht es nicht nur um Maßnahmen für abwanderungsgefährdete Gemeinden, sondern um ein Gesamtkonzept für Südtirol. Es sollte einen Paradigmawechsel einleiten, es geht um Regionalentwicklung, die Bildung neuer Netzwerke und um die Abkehr vom Versorgungsdenken, hin zu mehr Eigenverantwortung. Der Inhalt dieser Studie hat jedoch kaum jemanden interessiert. Die Opposition im Landtag, besonders die Freiheitlichen, regten sich darüber auf, dass der damalige Arbeitnehmerchef Gufler einen Beraterauftrag der Landesregierung erhielt. Und der Rechnungshof stellte die Frage, warum die Landesregierung nicht selbst solche Studien erstellt, sondern Außenstehende damit beauftragt. Damit landete die Studie in der Schublade.

Die dritte Phase der Autonomiepolitik: nicht Bauten, sondern der Mensch im Mittelpunkt

Der Alt-Landeshauptmann sprach in seiner letzten Regierungserklärung 2008 von einer neuen Politik. Nach dem Kampf um die Autonomie und dem Aufbau verschiedener Infrastrukturen, sollte es in der dritten Phase darum gehen, die neuen Herausforderungen zu bewältigen und die Zukunft zu sichern. Nicht die Bauten, sondern die Menschen sollten dabei in den Mittelpunkt des politischen Handelns gestellt werden. Südtirol, eine Kleinregion in Europa, muss sich dem europäischen Wettbewerb stellen und sich als Teil Europas und der Welt in weltweite Trends einklinken. In dem Strategiepapier von Pinggera und Gufler werden die „Agenda 21“ der Vereinigten Staaten genannt, sowie die Ziele der Europäischen Union „Europa 2020“ und auch das Konzept „Südtirol Klimaland 2020“. Mit der Studie sollte Südtirol auf die vielfältigen Herausforderungen einer immer komplexeren Welt reagieren und das System Südtirol im europäischen und globalen Wettbewerb effizient halten, aber vor allem auch nachhaltig entwickeln.  Und das Ganze sollte nicht von oben verordnet werden, sondern von unten wachsen. Man setzt auf Transparenz, Offenheit, Partizipation, ganzheitliches Denken. Es geht um ökonomische, soziale und ökologische Nachhaltigkeit. Pinggera und Gufler führten Gespräche mit drei Experten: mit Prof. Fredmund Malik aus St. Gallen, mit Prof. Gottfried Tappeiner von der Universität Innsbruck, sowie mit Prof. Konrad Bergmeister von der Universität Wien und Bozen. Außerdem wurden ausführliche Gespräche mit Vertretern aus Niederösterreich, Oberösterreich und Vorarlberg geführt, um über die dortigen Erfahrungen in der Regionalentwicklung, der Stadt- und Dorferneuerung  und ihren Erfahrungen mit Zukunftswerkstätten zu erfahren.

Umsetzung auf mehreren Ebenen: Südtirol Agenda, Südtirol Heimat  und Südtirol Dialog

Durch die „Südtirol Agenda 2021“ sollten die Gemeinden gestärkt werden. Einzelne Pilotgemeinden sollten unter Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen und Berufssparten Entwicklungsprojekte ausarbeiten. Mit Mitteln der EU, des Landes und der Gemeinden sollten die Projekte finanziert werden. Mit der Aktion „Südtirol Heimat 2021“ sollte ein landesweiter Wettbewerb durchgeführt werden und „gute Projekte, die hinsichtlich Umwelt, Lebensqualität, Arbeit oder Gemeinschaft nachhaltig wirken und als Gemeinschaftsprojekte realisiert werden“, sollten prämiert und angemessen publiziert werden. Durch den „Südtirol Dialog 2021“ sollten die einzelnen Projekte vernetzt und damit ein landesweiter Dialog und Lernprozess eingeleitet werden. Um diese Ziele umzusetzen, sollte sich auf politischer, auf strategischer und operativer Ebene einiges ändern. Das bedeutet, dass es Gesetze, eine Organisation und Akteure braucht. Nach den Vorstellungen der Autoren sollte bei der Abteilung Europa eine Netzwerkstelle „Regionalentwicklung Südtirol 2021“ eingerichtet und mit insgesamt 6 Vollzeitstellen besetzt werden: 2 Experten, 1 Projektassistent, 1 Redaktionsstelle und 2 Sekretariatskräfte. Außerdem sollte ein Masterlehrgang Regionalentwicklung durchgeführt werden, um „ein Netzwerk von kompetenten Menschen zu schaffen, die den systemischen Ansatz multiplizieren und umsetzen“. Im Konzept werden verschiedene Aktions- und Projektfelder, aufgeteilt auf vier verschiedene Achsen (wie bei der EU-Förderung vorgesehen) mit vielen Beispielen angeführt. Diese Beispiele sollten als mögliche  Projekte für die einzelnen Pilotgemeinden dienen. Pinggera und Gufler führten am Ende der Studie auch einen genauen Zeitplan (Roadmap) für die Umsetzung des Gesamtkonzeptes an. Bis Ende 2011 sollten das Netzwerk Land-Gemeinden aufgebaut, die Regionalentwicklungsplattform eingesetzt und die ESF Programmanträge eingereicht werden. 2012 sollte der Wettbewerb „Südtirol Heimat 2021“ ausgeschrieben werden und mit dem „Südtirol Dialog 2021“ die Phase 3 anlaufen. Passiert ist von alledem nichts. Die Netzwerkstelle bei der Europaabteilung wurde nie eingerichtet. Vielleicht war es zu offensichtlich, dass Pinggera und Gufler sich um diese Stellen bewerben wollten. Vielleicht hatte einfach niemand von der alten Landesregierung Lust - am allerwenigsten der Alt-Landeshauptmann - ein neues, basisdemokratisches Projekt zu starten. In der Bezirksgemeinschaft Vinschgau und in der Gemeinde Stilfs jedenfalls kennt man die Studie von Pinggera und Gufler nicht. Und auch Peter Paul Gamper von der Abteilung Europa in der Südtiroler Landesverwaltung, teilte mit, dass er die Studie im Detail nicht kennt. Aber sie sei als Grundlage für mehrere ESF Projektanträge für systemwirksame Maßnahmen verwendet worden. Das ist zu hoffen, denn sonst wäre die 86 Seiten dicke Studie sehr teures Papier.

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