Dienstag, 21 Januar 2014 09:06

„Di Musi bedeitet inz viel“

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s17 0471Im November 1952 begegnen sich Franz Abart aus Schleis und Anna Schwarz aus St. Leonhard in Passeier auf einem Hof in Davos. Sie arbeitet dort als Magd und er als Knecht. „Pan an Heistock zui hon i si gfundn“, scherzt er. „Na na…, in dr Kuch ischas gweesn“, verbessert sie. Für Anna ist es Liebe auf den ersten Blick. Bei Franz funkt es erst einen Monat später.

von Magdalena Dietl Sapelza

Ihre Hochzeit feiern Anna und Franz im November 1955 in Schleis. Nach dem Festmahl  greift ein Ziehharmonika-Spieler in die Tasten. Noch ehe das junge Paar den Tanz eröffnen kann, verbietet der anwesende Pfarrer das Tanzen.

Erst als sich dieser zur Vesper verabschiedet hat, wird’s lustig. „Miar hoobms nit drwortat, dass er geat, denn di  Musi bedeitet inz viel. Sie hot inz oft weiter gholfn “, betont Anna.   „Denn miar hoobn nit viel kopp unt long orm glepp. Bsunders dr Franz hot viel mitgmocht.“ Fünf Jahre hat er in russischer Gefangenschaft verbracht.
  Im Herbst 1944 wird Franz einberufen und im Polizeiregiment Brixen ausgebildet. Er verweigert den Schwur auf den Führer und landet im Strafregiment an der tschechischen Front. Dort wird Franz kurz darauf gefangen genommen. Auf dem Marsch nach Polen rechnen die Tschechen mit den deutschen Soldaten erbarmungslos ab. Todesangst geht um. Jene, die geschwächt sind, werden exekutiert. Tagtäglich wird jeder Zehnte in der Reihe an den Galgen gehängt. „I bin amol dr Neinte gweesn“, sagt Franz. Entsetzt muss er die Erschießung einer älteren Frau miterleben, die den Gefangenen etwas zum Essen gereicht hat. Erst nachdem russische Soldaten den Gefangenentross übernehmen, fühlt sich Franz sicherer. „Di Russn sain viel besser gweesn“, betont er. Er kommt in ein Arbeitslager nach Kursk, und es heißt „rabòtats“ (arbeiten) von früh morgens bis spät abends in einem Sägewerk. Die Hoffnung auf die Heimkehr gibt ihm Kraft. Hunger ist sein ständiger Begleiter. Die tägliche Krautsuppe sättigt nur für kurze Zeit.  „Di Lait hoobm selbr weanig kopp“, erklärt er. „Obr es hot aa guate Lait geebm.“ Bei seinen Bettelgängen, die ihm gelegentlich erlaubt werden,  teilen hilfsbereite Menschen ihr Essen mit ihm. In gebrochenem Russisch verständigt er sich. Franz lernt weitere Lager kennen. Er wird in Fabriken, in  Bergwerken, in Steinbrüchen, beim Bau von Brücken, als Maurer, als Landarbeiter….eingesetzt. Oft ist er tiefen Minusgraden ausgesetzt, holt sich Erfrierungen und Krankheiten. Eine Angina setzt ihm einmal so zu, dass ihm der Lagerarzt prophezeit, er sehe seine Heimat nie wieder. Schließlich heilt sich Franz, indem er den Urin eines gesunden Kameraden gurgelt. Im fünften Jahr kommt er zuerst in ein Lager am Schwarzen Meer und dann am Kaspischen Meer. Dann geht’s endlich heimwärts. „In 21. Februar 1945 bin i übrn Brenner ausi unt in 21.Februar 1950 über Treviso obr inni“, sagt Franz. Am Bahnhof von Mals begrüßen ihn die Musikkapelle und viele Menschen. Er erfährt, dass seine Mutter nicht mehr lebt und sein Vater wieder geheiratet hat. Franz fühlt sich daheim fremd und im Dorf ausgegrenzt. Verzweifelt sucht er nach Arbeit und findet keine. Schließlich schlägt er sich mit Betteln durch. „I bin pan Bettlan bis Bozn kemman“, verrät er. Schließlich findet er eine Anstellung auf einer Alm im Münstertal und kommt dann als Knecht nach Davos, wo er seine Anna trifft. „Deis isch a scheane Zeit gweesn, miar hoobm viel glocht unt tonzt“, schwärmt sie. Mit Anna an seiner Seite findet Franz ins Leben zurück.
Nach der Hochzeit ziehen sie in sein Elternhaus, das sie schon kurz darauf wieder in Richtung Schweiz verlassen, um Geld für den Bau eines eigenen Heimes zu verdienen. Er ist Hausmeister und sie Saisonkraft im Gastgewerbe. Bis vor der Geburt des dritten Kindes arbeitet Anna in der Schweiz, während die Kinder bei der Oma in Passeier gut aufgehoben sind. Dann bleibt sie daheim. Später findet auch Franz als Maurer im Vinschgau eine Stelle. Die Familie wächst, schon bald sitzen fünf Mädchen und zwei Buben am Tisch. „Ersch pan sechstn Kind hon i a Waschmaschin kriag“, sagt sie. „Vorher hon i di Windlan pan Boch gschwänzt unt oft isch miar oans af Lootsch oi“. In das neue Haus zog die Familie erst 1975 ein.   
Das Schönste für die beiden ist, wenn sich die sieben Kinder, die 16 Enkel und die 6 Urenkel in der Stube versammeln, wenn gesungen und musiziert wird. Franz an der Zither gibt dann meist den Ton an   
„Mit Gottvertrauen, Humor unt a pissl a Musi isch olm olz gongan“, meint Anna und schaut ihren Franz liebevoll an: „Bis zur Diamantenen miaßn miar nou durchholt“. Das Tanzen wollen sie sich dann nicht verbieten lassen und das Fest genießen - 60 Jahre nach der grünen Hochzeit.

 


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