Dienstag, 17 September 2013 12:00

Die chancenlosen Idealisten

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s6-titelDie eine tritt für die Bürgerunion in die Pedale, der andere für die Grünen und der Dritte für die Süd-Tiroler Freiheit. Christine Taraboi aus Mals, Martin Daniel aus Schlanders und Benjamin Pixner aus Kastelbell eint, dass sie für ihre Parteien im Tal Stimmen sammeln sollen. Ihre Ansichten, ihr Idealismus, ihre Vorstellungen bringen sie in einer als Streitgespräch gedachten Gesprächsrunde vor.

 

Moderation: Erwin Bernhart


Vinschgerwind: Der Wahlkampf zu den Landtagswahlen ist auf Personen zugespitzt. Dies gilt auch für Ihre Parteien. Weil Sie drei persönlich wohl keine Chance haben, gewählt zu werden, können wir über Inhalte reden. Selbstbestimmung, drohende Arbeitslosigkeit, Armut, Verkehrsprobleme, Aufstiegsanlagen, Pestizide, direkte Demokratie... Welche Sorgen brennen Ihrer Meinung nach den Menschen am meisten unter den Nägeln?


Martin Daniel: Überraschend für mich ist die Jugendarbeitslosigkeit auch im Vinschgau ein brennendes Thema. Die jungen Leute tun sich schwer, einen passenden Job zu finden. Nicht nur nach der Matura. Es ist schwierig, Lehrstellen zu finden. Mir wurde ein Fall erzählt, dass ein Mechaniker nach drei Jahren Berufsschule von Reschen bis zur Töll und auch in Bozen nur Absagen für eine Lehrstelle erhalten hat. Auch das Thema direkte Demokratie ist brennend. Nicht als Abstrakte Thema, sondern konkret, wenn man etwa an die Pestizide denkt, an Sexten auch. Gerade, wenn die Leute das Gefühl haben, mitreden zu wollen, aber dann übergangen werden, spielt das Thema direkte Demokratie eine große Rolle.
Benjamin Pixner: Dem kann ich zustimmen. Vor allem bei der Jugendarbeitslosigkeit. Viele Jugendliche gehen in die Schweiz arbeiten. Vor allem im Bereich Handwerk. Erstens, weil sie hier bei uns keine Arbeit finden und zweitens, weil auch der Verdienst in der Schweiz größer ist. Zur direkten Demokratie: Im Vinschgau war noch nicht der richtige Fall da, abgesehen von der Abstimmung beim Rambach. Beim Thema Langtaufers-Kaunertal könnte man die Direkte Demokratie einbauen. Wobei aus meiner Sicht die Verbindung mit dem Kaunertal eine gute Idee wäre, auch als Zusammenarbeit mit dem nördlichen Tirol.
Christine Taraboi: Ich kann beiden zustimmen. Ich habe selbst vier Kinder und ich bin heilfroh, dass sich für alle eine Lehrstelle gefunden hat. Der Traumberuf war allerdings nicht dabei. Nicht dass die Betriebe keine Lehrlinge anstellen wollen, aber es fehlen die Aufträge.
Pixner: Es ist von Beruf zu Beruf unterschiedlich. Mechaniker tun sich schwer...
Taraboi: Schlosser auch..
Pixner: Im Gastgewerbe ist es anders. Lehrstellen findet man dort, das Problem ist, was passiert danach, sobald die Lehre beendet ist.
Welche Ideen haben Sie, um der Jugendarbeitslosigkeit entgegenwirken zu können?
Taraboi: In erster Linie müssten die Betriebe von Seiten der Politik weniger Steuerabgaben und weniger Bürokratie auferlegt bekommen. Es ist eine Unmöglichkeit, was die Bürokratie an Geld und Zeit verschlingt. Auch bei den Auftagsvergaben ist anzusetzen. Bei Großaufträgen kommen nur die Großen zum Zuge.
Pixner: Gewinnt eine auswärtige Firma bei einer europaweiten Ausschreibung, holt sie sich nicht die Arbeiter vor Ort. Großaufträge gibt es im Vinschgau derzeit keine.
Taraboi: Es sind auch keine in Aussicht. Auch weil das Geld fehlt. Aber die Möglichkeit der Steuer- und Abgabenerleichterung für die Betriebe ist gegeben. Das duale Arbeitssystem, welches man von der Lombardei angeblich übernehmen will, ist beispielgebend: Ein älterer Arbeitnehmer verzichtet auf eine bestimmte Geldsumme und geht frühzeitig in Pension, um einem jüngeren den Arbeitsplatz zu überlassen.
Daniel: Bei der Steuererleichterung widerspreche ich. Ich habe gelesen, dass der Staat ein Drittel des Bruttolohnes bei Lehrlingen bezahlen will und das Land zwei Jahre lang die Sozialabgaben für unter 29-Jährige und über 55-Jährige übernehmen will. Aber welcher Unternehmer wird Leute - trotz Steuererleichterungen - anstellen, wenn keine Aufträge da sind. Aufträge kommen nur, wenn die Leute wieder Geld in der Tasche haben und somit Nachfrage besteht. Wir werden nicht mehr in dem Maße nach der öffentlichen Hand rufen können wie früher. Der Boom im Baugewerbe ist vorbei. Primär wird man eben schauen müssen, dass die Leute wieder Geld in der Tasche haben.
Pixner: Unsere Wirtschaftslage hängt von jener Italiens ab. Deshalb sind wir im gleichen Sumpf.

Ihre Arbeit wird es sein, Ihre Partei bzw. Ihre jeweiligen Spitzenkandidaten unter die Leute zu bringen. Wie machen Sie das?
Pixner: Wir von der jungen Süd-Tiroler Freiheit halten eine Disco-Tour ab, um mit jungen Leuten Kontakt aufzunehmen. Wenn wir auftreten, sind die Eva Klotz und der Sven Knoll schon bekannt.
Ist das bei Ihnen, Herr Daniel, ähnlich?
Daniel: Bekannt sind die zwei amtierenden Landtagsabgeordneten sicher, auch die Listenführerin. Wir hatten kürzlich die Vorstellung unserer Kandidaten vom Burggrafenamt und Vinschgau in Meran. Riccardo Dello Sbarba und Brigitte Foppa waren dabei.
Was machen Sie selbst?
Daniel: Wie mache ich das? (Pause)
Taraboi: Gute Frage. Ich tue mich insofern leicht, als den Andreas Pöder jeder kennt...
...das bezweifeln wir...
Taraboi: Man sagt zwar zu mir oft „Du bist bei den Blauen“. Vielleicht hat die Listenverbindung Bürger-Union - Ladins - Wir Südtiroler etwas Verwirrung gestiftet. Ich gehe zu den Leuten und gebe mich als Mitglied der Bürger-Union zu erkennen, auch mit Ständen mit unserem Logo  sind wir unterwegs.
Wieviel Idealismus gehört dazu, sich auf die Kandidaten-Liste Ihrer Parteien setzen zu lassen?
Daniel: Es gehört natürlich eine gewisse Portion Idealismus dazu. Es ist eine Herausforderung, zu schauen, was kann man erreichen, ohne sich falsche Illusionen zu machen. Es ist ein Lernprozess mit interessanten Erfahrungen. Man bekommt Einblick, wie es in der Politik zugeht.
Pixner: Ich bin voll überzeugt, dass in der Bewegung Süd-Tiroler Freiheit vom einfachen Mitglied bis hin zur Spitze Idealismus herrscht. Mir gefällt die politische Arbeit, auch als Gemeinderat. Ich sehe es als Verpflichtung, mich für unser gemeinsames Ziel einzusetzen.
Taraboi: Ohne Idealismus wäre ich nicht nach fünf Jahren politischer Abstinenz nochmals angetreten. Ich habe einen neuen beruflichen Weg eingeschlagen. Aber die politischen Probleme haben mich wieder bewegt.
Sie sind als oppositionelle Gemeinderäte tätig. Auf Gemeindeebene scheint alles ok zu sein, jedenfalls fallen Sie alle drei nicht durch harte Opposition auf. Verhält sich die Mehrheitspartei SVP auf Gemeindeebene anders als  sie es auf Landesebene tut?
Taraboi: Der Bürgermeisterwechsel in Mals hat gebracht, dass man als oppositioneller Gemeinderat mehr mitreden kann, dass man in Arbeitsgruppen eingebunden wird. Es hat sich dahingehend einiges gebessert. Andere Gemeinderatskollegen sehen das anders. Aus oppositionellem Prinzip zu Allem Nein zu sagen, das war nie mein Stil.
Daniel: Auch in Schlanders hat es einen politischen Stilwechsel gegeben. Der Bürgermeister sucht zwei Tage vor der Gemeinderatssitzung das Gespräch. Mir wurde der Vorsitz der Kommission zur Überarbeitung der Gemeindesatzung überlassen. Da haben wir für Volksabstimmungen auf Gemeindeebene ein Nullquorum vorgesehen. Auch bei der Besetzung von Verwaltungsräten hat sich einiges geändert. Uns wurde ein Vorschlag für den Verwaltungsrat des Altersheimes überlassen.
Pixner: Mit 19 war ich einer der jüngsten Gemeinderats-Kandidaten im Land. Ich muss in meiner Gemeinde als Oppositioneller nicht immer alles anprangern. Ich möchte Ideen einbringen. Vor allem für die Jungen. Mein Beschlussantrag für die Aufwertung des alten Schießstandes etwa, wurde einstimmig angenommen.
Sie haben noch etwas gemeinsam: Sie treten gegen die Mehrheitspartei SVP an. Was würden Sie „richtiger“ machen wollen?
Pixner: Volksnaher werden. Die Politker müssen vom hohen Ross runter und mit den Menschen wirklich reden. Viele Leute sagen uns als Opposition viel mehr Sachen als den SVP-Vertretern. Die Leute kommen zu uns viel direkter mit den Problemen.
Daniel: Als etwas vom Wichtigsten erachte ich die Ehrlichkeit in der Kommunikation. Es hat zu viele Fälle gegeben, wo die Leute für blöd verkauft wurden, beim Flughafen etwa, bei künstlich aufgebauschten Problemen in Rom, die dann mit großem medialen Pomp gelöst worden sind. Die Salamitaktiken, nur ein Baulos machen zu wollen, wobei man genau weiß, dass das nicht stimmt, falsche Zahlen über die Kosten von Großprojekten usw..

Taraboi: Ich finde es wichtig, dass die Instrumente der direkten Demokratie so umgesetzt werden, damit man damit arbeiten kann. Das fängt beim Quorum an, bei den Themen, worüber abgestimmt werden soll und die Ergebnisse sollen bindend sein. Derzeit werden Sachen einfach durchgeboxt.

Nur um Ihre Parteien in eine Verhältnismäßigkeit zu setzen: Blickt man auf die Landtagswahlen von 2008 zurück, so hat der Vinschgau – Reschen bis Töll – für die Grünen 8 Prozent, für die Süd-Tiroler Freiheit 12 Prozent und für die Union für Südtirol 20 Prozent der Stimmen beigetragen. Überrascht Sie das?
Taraboi: 2008 war ein personenbezogener Wahlkampf.
Ist das heuer anders?
Taraboi: Das ist heuer auch so. Die Sachpolitik bleibt im Hintergrund. Die Leute bringen im direkten Gespräch zwar Sachthemen vor, allerdings wird dann personenbezogen gewählt.
Daniel: Mich überraschen die Zahlen nicht. Im Vinschgau gibt es die Grüne Partei in den Gemeinderäten nicht.
Trotz starker Umweltschutzgruppe...
Daniel: Bei der Umweltschutzgruppe gibt es starke Aktivisten. Die Frage ist, wieviel Leute es bei uns auf dem Land gibt, die sich mit  bestimmten Schwerpunktthemen der Grünen wie Interethnizität, mehrsprachige Schule, Frauenrechte sofort identifizieren können. Ich glaube, Vinschger wählen die Grünen, weil ihnen Rechtsstaat und Demokratie wichtig sind, gegen Machtpräpotenz und Vetternwirtschaft und wegen der Umweltthemen - Vinschgerzug, Ausbau Forst Töll, die Pestizide, die Skigebiete, die Almerschließungen, der Frevel im Wald, der Verkehr...
Diese Themen werden eher von der Umweltschutzgruppe Vinschgau getragen als von den Grünen.
Daniel: Von der Umweltschutzgruppe, das stimmt.
Pixner: Wir waren 2008 neu. Heuer sind wir viel besser aufgestellt. Hauptthema ist natürlich die Volkstumspolitik sprich Selbstbestimmung.

2008 haben im Vinschgau 1832 Leute die Süd-Tiroler Freiheit gewählt, 1422 die Union für Südtirol  und 1409 die Grünen. Ihr seids die Stimmenfänger im Vinschgau. Ihre Prognose für 2013?
Daniel: Ich bin es gewohnt in Prozenten zu denken. Wir hatten 2008 mit Waltraud Plagg und Rudi Maurer zwei Kandidaten, heuer bin ich allein als Kandidat. Allerdings gibt es im Obervinschgau brennende Themen. Schwierige Prognose.
Pixner: 2008 hatten wir zwei Kandidaten, heuer treten wir mit vier Vinschger Kandidaten an, darunter eine Frau aus Prad. Ich glaube, dass wir heuer noch besser abschneiden werden.
Taraboi: Ich weiß, warum 2008 das passiert ist. Ich bin überzeugt, dass die unermüdliche Arbeit unseres Abgeordneten im Landtag in den letzten 5 Jahren, unser Programm hinsichtlich der Familienpolitik und dass uns die Öffnung zu einem Listenbündnis mit den Ladins und Wir Südtiroler Pluspunkte bringen wird.
Daniel: Ich glaube, dass gerade die Themen im Obervinschgau, das Vorrücken des Obstbaues und die Angst vor den Pestiziden, auch andere als die klassischen Grünwähler von grünen Themen angesprochen werden. Deshalb werden wir das Ergebnis von 2008 verbessern können.


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