Dienstag, 13 Juni 2017 12:00

500 Jahre Reformation - eine Annäherung

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s10 1353Vinschgerwind-Interview

Vinschgerwind: Verbinden wir zwei Dinge miteinander: Ihre Arbeit als Journalist und Martin Luther. Im deutschen Sprachraum wird Journalisten empfohlen, die Lutherbibel zu lesen. Warum denn?
Georg Schedereit: Luther war ein Sprachgenie sondergleichen. Er hat dem Volk auf’s Maul geschaut.

Vinschgerwind:Haben Sie das Lesen der Lutherbibel als Journalist beherzigt?


Schedereit: Seit der Konfirmation mit 15 Jahren habe ich, ehrlich gesagt, nicht viel Luther gelesen. Seit dem letzten Jahr dafür intensiv viel Spannendes über Luther, die  Reformationszeit und ihre prägende Kraft bis heute.

Vinschgerwind: Vor 14 Monaten sind Sie zum Präsidenten der Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Italien gewählt worden. Sind Sie eine Art Bischof?
Schedereit: Nein. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Italien hat bewusst keinen Bischof. Nur einen Dekan, der von der Synode gewählt wird. Bei uns ist das Kirchenparlament das oberste Organ. Das war ja das Bahnbrechende an der Reformation: Freiheit und  Eigenverantwortung jedes einzelnen Christenmenschen vor Gott und dem eigenen Gewissen. „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“(Matthäus 18,20).

Vinschgerwind: Was ist Ihre Aufgabe als Präsident der Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien?
Schedereit: Als ehrenamtlicher Vorsitzender dieses unseres kleinen Kirchenparlaments verfolge ich mit meinem Stellvertreter Wolfgang Prader regelmäßig, wie die Beschlüsse der Synode von den beiden anderen Kirchenleitungsorganen, dem fünfköpfigen Konsistorium und dem Dekanat in Rom umgesetzt werden; ferner planen wir die Synodalsitzungen, berufen sie ein, leiten sie und zeichnen für die Protokolle verantwortlich.

Vinschgerwind: Was beschließt dieses Parlament?
Schedereit: Alles Grundsätzliche. Und den Haushalt. Z.B. inwieweit die 8-Promille-Einnahmen für Soziales ausgegeben werden oder für die Pfarrergehälter. Zwei Drittel gehen auf jeden Fall zurück an die Gemeinden. Die ELKI ist sicher die föderalistischste Kirche in Italien. Wir sind auch die “deutscheste“ Kirche in Italien, genauer: die zweisprachige, deutsch und italienisch. Denn die meisten unserer Gemeindeglieder sind von ihrer Familiengeschichte her deutscher Muttersprache. Klar, dass wir für sie unsere Pfarrer bis dato aus Deutschland „importieren“.

Vinschgerwind: Ist evangelisch-lutherisch ein spezifisch deutsches oder nordisches Thema?
Schedereit: Ein nordwesteuropäisches: Skandinavien, die Niederlande, auch die Schweiz, also nicht nur deutsch. Aber von den 72 Millionen Lutheranern weltweit sind 24 Millionen in Deutschland.

Vinschgerwind: Wie viele Lutheraner gibt es in Südtirol?
Schedereit: Bozen ist mit rund 500 Mitgliedern eine der größten Gemeinden Italiens, nach Rom und Mailand und vor Meran mit seinen beiden Kirchlein in Sulden und Arco.

Vinschgerwind: 2017 ist für die evangelische Kirche ein Jubiläumsjahr. Man feiert 500 Jahre Reformation. Wie wird das in Südtirol wahrgenommen?
Schedereit: Mit Interesse und Neugier gerade von katholischer Seite. Luther war ja letztlich eine Art Super-Katholik, z.T. auch ein Fundamentalist. Er wollte eine verlotterte und kommerzialisierte Kirche auf den rechten christlichen Weg zurückführen. Sein „Los von Rom“ hatte auf beiden Seiten verheerende Gewaltausbrüche zur Folge. Insofern bin ich froh,  dass  in Südtirol alle Sprachgruppen von altersher katholisch geprägt sind. Wenigstens eine Gemeinsamkeit - anders als in Nordirland. .

Vinschgerwind: Luther hat mit Rom gebrochen. Das hat im Laufe der Geschichte zu vielen Kriegen geführt. Der aktuelle Papst Franziskus I. kommt aus Südamerika. Kann dieser Papst eine Brücke zwischen den zwei Konfessionen sein?
Schedereit: Die große Mehrheit sieht diesen Papst sehr positiv. Der Papst ist ein Jesuit...
Vinschgerwind: ...die Jesuiten haben die Gegenreformation eingeläutet...
Schedereit: ...er ist ein sehr authentisch wirkender Kommunikator. Was danach kommt, muss man sehen. Ökumene muss ja nicht heißen, dass man auf Fusion aus ist. Meine persönliche Meinung ist, dass kirchliche Vielfalt, dass Zweisamkeit schön ist. Wenn man zu zweit ist, kann man voneinander lernen. Es muss nicht sein, dass alles unter ein Dach gezwungen wird.
Vinschgerwind: Nehmen wir Sie beim Wort, man kann voneinander lernen. Luther war Mönch und hat dann geheiratet. Kann dieses Verhalten für die katholische Kirche Hilfestellung im Hinblick auf den Priestermangel sein?
Schedereit: Ich halte mich da zurück: ein jeder nach seiner Fasson. Es gibt Kritik  am Pflichtzölibat für katholische Pfarrer. Wieso dieser Zwang? Aber über evangelische Pfarrfamilien sagt man: „Pfarrers Kinder, Müllers Vieh geraten selten oder nie“. Ständig auf der Predigerkanzel und gleichzeitig auf dem Präsentierteller zu sein, das ist eben auch nicht immer das Gelbe vom Ei.

Vinschgerwind: Drehen wir die Zeit in Tirol um rund 150 Jahre zurück. Das Ansinnen, in Meran eine evangelische Kirche, im Übrigen auch eine Synagoge, bauen zu wollen,  hat zu heftigen Diskussionen im Innsbrucker Landesparlament geführt. Man hat sich vehement dagegen im sogenannten Kulturstreit gewehrt. Tirol müsse katholisch bleiben. Trotzdem wurden die evangelische Kirche und später die Synagoge erbaut, auch aus touristischen Gründen. Heute ist die evangelische Kirche fixer Bestandteil des kulturellen Lebens in Meran. Derzeit drängt mit dem Islam eine neue Konfession in die Südtiroler Gesellschaft, weniger aus touristischen Gründen.
Schedereit: Das ist ein großes Thema, nicht auf die Schnelle abzuhandeln, und erst recht nicht  in jener Panik, wie sie von Terroristen bezweckt und von Medien so gern befördert wird. Als Demonstrationen in Dresden gegen eine „Islamisierung“ des christlichen Abendlandes Schlagzeilen machten, da dachte ich mir: ja haben die, haben wir, überhaupt noch eine Ahnung davon, was an unserem  Abendland christlich ist, und was davon noch verteidigenswert? Meine protestantischen Vorfahren wurden aus Salzburg vertrieben, meine katholische Großmutter stammt aus Burgstall. Woher wir kommen, das treibt mich mehr als früher an.  Inwieweit hat unser heutige Europa noch mit dem Christentum zu tun? Und mit jener Reformation, die so wie die Renaissance, so viele Fenster und Türen geöffnet hat: weg von der alten Angst, hin zur späteren Aufklärung, zu mehr Freiheit, Chancengleichheit Brüderlichkeit, Menschenrecht und Menschenwürde, weg vom willkürlichem Despotentum, hin zur parlamentarischen Demokratie, kodifiziert in rechtsstaatlichen Verfassungen..  

Vinschgerwind: Die Vernunft ist Ihnen nicht mehr genug?
Schedereit: Nicht ganz. Beim Segen heißt es, der Friede Gottes ist höher als alle Vernunft. Ich setze mich mitsamt meiner Vernunft und einem gewissen intellektuellen Selbstbewusstsein durchaus mal gern in eine Kirche, um mir zu sagen: auch du bist nur ein kleiner Wurm, eine kleine Ameise, ein blinder Maulwurf - und ich fühle mich nicht unwohl dabei. Die besten protestantischen Prediger sprechen natürlich recht gekonnt auch die Vernunft an. Aber es ist auch ein bestimmtes Einlullen dabei, die guten Worte,, die uralten Lieder, die schöne Musik,  das Orgelspiel – und das alles nicht nur für Gutmenschen, sondern auch für Bösmenschen. Da darf ich ruhig wieder ein bisschen kindlich bleiben - und gelassen werden: Bildung ist nicht alles, Herzensbildung ist mehr. Gutmenschen Vernunft ist nicht alles, Vertrauen ist wichtiger. Das Ur-vertrauen: „Von guten Mächten  wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag“.  

Vinschgerwind: Ist diese Erdung in der religiösen Familientradition wichtiger Bestandteil und eine gute Voraussetzung, um Fremdreligionen besser begegnen zu können?
Schedereit: Ja, das würde ich sagen. Es ist ähnlich dem, wenn man sagt, wenn ich in meiner Muttesprache sattelfest bin, dann kann ich auch anderen Sprachen mit mehr Respekt begegnen und mit Neugier diese anderen Sprachen lernen wollen.
Interview: Erwin Bernhart

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