Dienstag, 07 Februar 2017 12:00

Für umgedrehte Steine kein Nulla Osta

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s10 8444Vinschgerwind:Sie sind Mitglied des Koordinierungskomitees für den Nationalpark Stilfserjoch. Dieses Komitee hatte die Aufgabe, neue Leitlinien für den Nationalpark auszuarbeiten. Die Leitlinien liegen nun vor. Welches sind diese Leitlinien?
Georg Altstätter: Mit dem Übergang der Kompetenzen des Nationalparks an die zwei Provinzen Bozen und Trient und an die Region Lombardei war klar, dass nicht jede Provinz tun und lassen kann, was sie will.

Deshalb war im Übergangsvertrag enthalten, dass sich alle drei Parkbeteiligten an sogenannte „linee di guida“ halten müssen. Die eigenen Landesgesetze müssen sich dann an diese Leitlinien halten.
Vinschgerwind: Also übergeordnente Leitlinien für alle drei Parkteile...
Altstätter: Richtig. In diesem Koordinierungskomitee waren je zwei Vertreter der Provinzen und der Region Lombardei vertreten. Für die Provinz Bozen war es der Landesrat für Umwelt Richard Theiner und meine Wenigkeit als Vertreter der Gemeinden. Zudem waren Vertreter vom Umweltministerium und von der ISPRA (Istituto superiore per la protezione e la ricerca ambientale, welches dem Umweltministerium unterstellt ist; Anm. d. Red.). In der Vereinbarung zur Übernahme des Nationalparkes Stilfserjoch ist enthalten, dass die Grundlage für die neuen Leitlinien das Gesetz zu den Nationalparks 394/1991 ist. Damit waren die Spielräume für die Leitlinien schon von vornherein sehr eng gesetzt. Damit war von vornherein eine Grenzverschiebung zum Beispiel ausgeschlossen.

Vinschgerwind: Wie kann man sich diese Leitlinien, diese „linee di guida“, für den Nationalpark vorstellen?
Altstätter: Meine Meinung ist, dass bewohntes Gebiet in einem Nationalpark nichts zu suchen hat. Das konnte natürlich nicht erreicht werden. Nun mussten wir versuchen, Dinge hineinzubringen, die für uns sehr wichtig sind. Alles andere hat man fallen lassen müssen, weil das aufgrund des Rahmenabkommens zwischen Land und Staat nicht möglich ist.

Vinschgerwind: Was hat man fallen lassen müssen?
Altstätter: Eben die Abänderung der Parkgrenze. Abgesehen von der gesetzlichen Rahmenbedingung hätten da auch die Umweltverbände und das Ministerium nie mitgespielt. Das wäre irrational gewesen. Im Vorfeld haben die Südtiroler Gemeinden gemeinsam mit Albrecht Plangger den Professor Nicolucci von der Universität Urbino beauftragt, Vorschläge für die Leitlinien auszuarbeiten. Erfreulicherweise haben die Vertreter im Koordinierungskomitee diesen Vorschlag als Grunddokument und Grundbasis für die Ausarbeitung der Leitlinien angenommen.
Vinschgerwind: Was war in diesem Vorschlag drinnen und was ist am Ende geblieben?
Altstätter: Der Wunsch war und ist es, dass die Parkzonierung aus dem Jahr 2005-2006 überarbeitet wird, dass in den Bauzonen nur die Gemeinde im Rahmen des Bauleitplanes zuständig ist, nicht nur auch der Parkdirektor, dass man gegen einen ablehnenden Bescheid Rekurs vor der Landesregierung anstatt schnell vor dem Verwaltungsgericht machen kann usw.. Auch zur Wildentnahme und einer „sanften“ Nutzung der Wasserkraft in den niederen Schutzzonen C und D haben wir Vorschläge eingebracht. Nach dem Motto des Schweizer Nationalpark Direktors Heinrich Haller sollte in den effektiven Schutzzonen A und B „die Schraube zugedreht“ und in den bewohnten Gebieten C und D Zonen „die Schraube gelockert werden“. Das könnte nun mit dem neuen Reglement und mit dem zu machenden Landesgesetz gelingen. Die Zonierung unterscheidet bisher zwischen A, B, C und D-Zone. Bisher waren etwa nur die Dorfkerne D-Zone. Ich bin einfach der Meinung, dass man sich überlegen sollte, die D-Zone etwas großzügiger auszulegen. Im Landesgesetz sollte meiner Meinung nach drinnen sein, dass für diese D-Zone eine andere Form des Nulla Osta sein kann.
Vinschgerwind: Was heißt Nulla Osta?
Altstätter: Nulla Osta heißt, und das ist im Übrigen in diesem Gesetz von 1991 enthalten, dass es für Alles ein Gutachten des Nationalparkes braucht. Für Alles! Es kann doch nicht sein, dass es für jeden Stein, der umgedreht werden soll, ein Gutachten des Nationalparkes braucht! Der Bürgermeister und der Gemeinderat muss doch das Recht haben, im urbanen Bereich selbst bestimmen zu können, was gebaut werden kann oder was nicht.
Vinschgerwind:Vom Bauleitplan bis hin zur Baukonzession...
Altstätter: Wenn wir beim Bauleitplan eine Hotelzone in Hintermartell ausweisen möchten, werden wir um das Gutachten des Nationalparkes nicht umhin kommen. Wenn aber im Dorf eine Garage gebaut werden soll, dann soll es meiner Meinung nach nicht die ganze Verfahrensliturgie brauchen. Vielleicht kann man das mit dem Landesgesetz regeln.
Vinschgerwind: Können Sie uns einige dieser Leitlinien nennen?
Altstätter: Das Jagdverbot gilt weiterhin, das ist klar. Für die Fauna und Flora ist festgelegt, dass aufgrund von begleitenden Studien der ISPRA bei Bedarf eingegriffen werden kann. Bei einer Überpopulation beim Rotwild war das bisher schon so. Nun muss ein neuer Entnahmeplan aufgelegt werden. Bei der Wasserkraft könnte mit begleitenden Studien eventuell etwas gemacht werden.
Vinschgerwind: Das war bisher tabu.
Altstätter: Es wird nicht so sein, dass morgen überall E-Werke gebaut werden können. Das geht ja aufgrund des Wassernutzungsplanes des Landes nicht, geschweige denn im Nationalpark. Mir wäre wichtig, dass die Zonierung, die vor 10 Jahren gemacht worden ist, nochmals neu gedacht werden soll. Intensive Landwirtschaftsgebiete gehören meiner Meinung nach in die D-Zone. Bisher ist das alles C-Zone. Die Skigebiete sind ja auch alle in der D-Zone. Ich sehe schon die Chance, dass die D-Zone aufgrund der Leitlinien möglich sein kann.

Vinschgerwind: Sie erwarten sich Erleichterungen vor allem in der Bürokratie. Welche Erwartungshaltungen gibt es noch? Ist es in Zukunft von Vorteil, als Gemeinde im Nationalpark zu sein?
Altstätter: Das ist eine schwierige Frage. Jene Gemeinden, die sagen, dass wir aufgrund des Nationalparkes bestimmte Vorteile haben, sage ich, ihr könnt’s den Park gerne haben.
Vinschgerwind: Da geht es wohl um die Bewerbung des Nationalparkes? Ist der Nationalpark nicht ein tolles Werbe-Argument für den Tourismus?
Altstätter: Bis heute ist die Bewerbung nicht groß gewesen. Unsere Bevölkerung ist nach wie vor sehr skeptisch, weil uns der Park damals aufgebürdet worden ist.
Vinschgerwind: Spüren Sie eine Gesinnungsänderung aufgrund des Übergangs des Parkes auf die Provinzen?
Altstätter: Wenn man bei den administrativen Abwicklungen, mit dem neuen Reglement, mit dem neuen Landesgesetz, auf die Leute zugeht und auch ein Budget für die Bewerbung zur Verfügung stellt, um den Park zugänglich zu machen und die im Nationalpark angebauten und hergestellten Produkte mit einem Label versieht und entsprechend bewirbt, dann kann ich mir vorstellen, dass man den Park positiv besetzen kann und dass dann die Leute das mittragen.
Vinschgerwind: Kommt in diese Richtung etwas von Vinschgau Marketing?
Altstätter: Es sind schon erste Gespräche geführt worden. Konkretes ist noch nichts vorhanden. Ich warte da noch auf ein schlüssiges Konzept. Kurt Sagmeister hat mir gesagt, dass es dazu ein Budget brauche.
Vinschgerwind: Das Geld soll vom Land kommen?
Altstätter: Das erwarten wir uns. Der Tourismus soll davon profitieren, aber auch die Landwirtschaft soll davon profitieren.
Vinschgerwind: Wie stellen Sie sich die Vermarktung, im Tourismus etwa, vor?
Altstätter: Die Nationalparke Hohe Tauern, Berchtesgaden und jener in Slowenien, die wir besichtigt haben, haben alle ein großes Werbebudget. Der Nationalpark Stilfserjoch hat bisher auch tolle Sachen gemacht. Aber das nach außen zu kommunizieren, dafür fehlte das Geld. Auch die Kommunikation zwischen Parkverwaltung in Glurns und dem Tourismus war bisher aufgrund des Personalstandes nur schwer machbar. Man muss sich nur vorstellen, wie viele Baugenehmigungen, vom Bagatelleingriff bis zu größeren Bauten, Hanspeter Gunsch zu bearbeiten hat. Und überall in den Baukommissionen ist er Berichterstatter. Wichtig wäre in erster Linie ein Budget für Vinschgau Marketing. Und wichtig ist auch die Vermarktung der landwirtschaftlichen Produkte aus dem Park.

Vinschgerwind: Gibt es eine Zusammenarbeit bei der Erstellung des Gesetzes?
Altstätter: Zwischen Grundbesitzern, Gemeinden und allen anderen Akteuren braucht es diesbezüglich eine Harmonie und eine gute Zusammenarbeit. Ein erstes Treffen hat es schon gegeben und weitere sind geplant.

Interview: Erwin Bernhart


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