Dienstag, 23 Juni 2015 00:00

„I bin pa di Guatn gweesn“

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s17 6279Sebastian Klotz stand nicht auf der Sonnenseite des Lebens. Als „lediges Kind“ kam er im Kriegsjahr 1944 in Schlanders zur Welt. Mit 15 Monaten nahmen ihn Zieheltern in Glurns auf. Zehn Jahre verbrachte er im Heim der Barmherzigen Schwestern in Kleinvolderberg bei Hall in Tirol.

von Magdalena Dietl Sapelza

Wastls Mutter war Dienstmagd in Vetzan, sein Vater ein italienischer Soldat, der sich aus dem Staub machte. Die junge mittellose Frau suchte verzweifelt einen Platz für ihren Sohn und fand diesen bei der Familie Sagmeister in den Glurnser Lauben.

„Do wou`s earsch brennt hot, hon i gwohnt“, erklärt Wastl. Er war kränklich, litt an Schwindelanfällen, fiel oft hin und hatte Schwierigkeiten beim Sprechen. Mit den anderen Kindern konnte er nicht mithalten. Meist blieb er abseits stehen, auch in der Schule. Der gestrenge Stadtpfarrer war überzeugt, dass Wastl im Heim der Barmherzigen Schwestern in Kleinvolderberg bei Hall in Tirol besser aufgehoben sei als in der Glurnser Volksschule. Er überzeugte die Lehrerin und redete auf WastlsZieheltern ein. Nachdem sein Ziehvater 1953 starb, stimmte die Ziehmutter 1954  der Heimunterbringung zu. „Dr Geistliche isch di Schuld, dass i fa drhom hon aweck gmiaßt“, sagt Wastl und plötzlich schimmern Tränen in seinen Augen.  In Tirol fühlte er sich anfangs verlassen und einsam. Heimweh plagte ihn, und er weinte sich in den Schlaf. Mit 35 Buben teilte er sich einen großen Raum. Viele von ihnen waren beeinträchtigt. „I bin pa di Guatn gweesn“, erklärt er. Erst nach und nach lebte er sich ein. Glücklich war er, als ihn die Schwestern mit der Aufgabe betrauten, über die Uhr zu wachen. Er durfte die Schulstunden ein- und auszuläuten und fühlte sich erstmals ernst genommen. „Di ehrwürdigen Schwestern hoobm miar guat behondlt“, unterstreicht er. Mit der 82-jährigen Schwester Manfreda verbindet ihn heute noch eine Brieffreundschaft.  Zehn Jahre lang lebte Wastl im Heim. Er verbrachte dort Weihnachten und Ostern. Nur im Sommer kehrte er für kurze Zeit nach Glurns zurück. „Di Fohrt isch z`tuir gwesn“, sagt er.
1963 rief ihn das italienische Konsulat in Innsbruck zur Musterung. Die Einberufung zum Militärdienst wurde aufgeschoben. 1964 folgte die zweite Musterung in Bozen. „Es isch der 3. Februar gweesn unt eiskolt“, erinnert er sich. Der italienischen Sprache nicht mächtig, begriff er nicht, warum man ihn ins Militärspital nach Verona brachte. Schließlich erhielt er dort den „Concedo“, der ihn vom Militärdienst befreite. Daraufhin versuchte er sich wieder in Glurns einzuleben, was ihm sehr schwerfiel. „Wenn i kennt hat, war i liabr obr noch Kleinvolderberg gongan“, bekennt er. Seine erste Arbeitsstelle trat er bei einem Bauern in Matsch an. Dort behandelte man ihn schlecht. Barfuß verließ er den Hof nach zwei Monaten. „Nit umasuscht hoaßt ma di Matscher Raubritter“, scherzt er. Danach war er als „Goaßer“ in Rifair und Taufers beschäftigt und dann auf einem Hof in Lichtenberg. „Orbatn hon i selm schun a gmiaßt, obr i honns ausgholtn“, stellt Wastl klar. Nach elf Jahren als Knecht entdeckte er in einer Zeitung das Stellenangebot des Klosters Muri Gries in Bozen. Dort wurde ein Küchengehilfe gesucht. Er bewarb sich und wurde als Abspüler eingestellt. Die freien Tage nahm er monatlich gebündelt in Anspruch, damit es sich für ihn lohnte heimzufahren. Nach acht Jahren war seine Arbeitskraft in der Klosterküche nicht mehr gefragt. Denn Maschinen übernahmen das Abspülen. Wastl kehrte zu seiner Ziehmutter zurück und half ihr bei der kleinen Landwirtschaft. Gerne hätte er das Tapezierer-Handwerk gelernt. „Obr di Muatr hot nit gwellt alloan bleibm“, sagte er. Doch schon bald musste er alleine leben. Denn seine Ziehmutter zog ins Altersheim, wo sie 2004 starb.
Mittlerweile wohnt Wastl in einer Stadtwohnung. Er wird betreut und mit „Essen auf Rädern“ versorgt. „I hon a Weißkreiz-Kaschtl firn Noatfoll“, betont er. Die Kirche besuchte er nur nochselten. „I bin a Luther“, gesteht er. „I gea nimmr, weil miar deis Geratsche vour miar olm gärgert hot.“ Die hl. Messe hört er sich meist im Radio an. Täglich steht er um 5.00 Uhr auf und marschiert eine Runde um die Stadt. Der Arzt habe ihm diese Bewegung geraten. Nach 8.00 Uhr holt er die Zeitungen für mehrere Gastbetriebe und für die Raiffeisenkasse. Auch Botengänge übernimmt er. Wastl erledigt diese ehrenamtlichen Dienste nun schon seit 28 Jahren. Kürzlich zeichneten ihn die Mitarbeiter der Bank mit dem Titel „Stadtkurier“ aus, was ihn sehr freute. Zu seiner leiblichen Mutter hielt Wastl stets Kontakt. Diese lebt heute im Altersheim. Er zeigt Verständnis dafür, dass sie ihn einst weggeben musste. „Selm isch holt koa Gelt ummer gweesn“, sagt er.            

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