Dienstag, 14 Oktober 2014 09:06

Nationalpark Stilfserjoch - Hummeln - Mit doppeltem Energieeinsatz der Kolibris die besten Tomatenbestäuber

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176C1Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Franz von Assisi, 4. Oktober 2014

In diesen Herbsttagen fliegen noch die letzten Arbeiterinnen auf den Blüten von Astern und Erdbirnen. Dann sterben sie alle bis auf die befruchteten Königinnen: Hummeln bilden im Gegensatz zu den Honigbienen keinen Dauer-, sondern nur einen Sommerstaat. Hummeln gehören zu den Hautflüglern. In der Erdgeschichte treten die ersten Hummeln  vor ungefähr 30 bis 40 Millionen Jahren auf. Als Ort werden die Berge Zentralasiens vermutet, weil es dort auch heute noch die meisten Hummelarten gibt. Von hier aus breiteten sich die Hummeln westlich, östlich und nördlich des Himmalayagebirges bis nach Europa, China, Sibirien und hinauf in den Polarkreis aus. Südwärts in Richtung Äquator fand keine Ausbreitung statt, da Hummeln sich in warmen Klimazonen überhitzen. Heute gibt es weltweit ca. 250 Hummelarten (bei etwa 25.000 bekannten Bienenspezies), für Deutschland sind 31 Arten von Hummeln beschrieben. 7 Arten gelten in Deutschland bereits als ausgestorben.

 

Die heißblütige Hummel
Gemeinhin zählen wir die Insekten zu den kaltblütigen Tieren ohne eigene Körperwärme. Diese Einordnung ist zumindest für die Hummeln falsch. Hummeln  können ihre Körpertemperatur nämlich aktiv regulieren: Fliegende Hummeln haben eine Körpertemperatur, die ziemlich weit über der Temperatur der Umgebungsluft liegt, und zwar meist konstant bei etwa 35°C. Bernd Heinrich, ein amerikanischer Naturwissenschaftler und Marathonläufer hat in den 1970er-Jahren mit Thermoelementen die Körpertemperaturen von Hummeln gemessen. Wie schafft es die Hummel sogar dann warm zu bleiben, wenn die Umgebungstemperatur 30°C unter ihrer Körpertemperatur liegt? Heinrich fand heraus, dass die Antwort auf diese Frage aus zwei Teilen besteht: Die Hitze muss bewahrt und überhaupt erst einmal erzeugt werden. Bekanntlich ist der Körper von Insekten in die drei Abschnitte Kopf, Brustsegment (Thorax)  und Hinterleib (Abdomen) gegliedert. Heinrich konnte belegen, dass die Hummel vor allem ihr Brustsegment warm hält, denn hier sitzen die Flugmuskeln. Ist der Thorax nicht warm genug, können sich die Muskeln nicht schnell genug zusammenziehen und die Hummel kann nicht fliegen. Die Temperatur des Hinterleibes spielt beim Fliegen kaum eine Rolle. Thorax und Abdomen sind bei den Hummeln durch eine sehr schmale Taille verbunden und das vordere Segment des Abdomens enthält einen Luftsack: Luft ist ein schlechter Wärmeleiter und durch den Luftsack im Körper  ist der Wärmeverlust von Thorax zum Abdomen minimal. Heinrich fand auch, dass der Hinterleib einer fliegenden Hummel oft 15°C kühler war als das Brustsegment. Ein pelzig behaarter Körper und wärmeisolierende Luftsäcke sind bei den Hummeln also die evolutionären Erfindungen zur Wärmespeicherung. Die Wärmeerzeugung erfolgt durch die Kontraktionen der Flugmuskeln. Beim Fliegen schlägt die Hummel 200 Mal pro Sekunde mit den Flügeln, was 12.000 Umdrehungen pro Minute und damit jenen eines hochtourigen Motorrad-Motors entspricht. Vom Energieverbrauch her betrachtet, ist der Hummelflug unglaublich teuer. Charles Ellington von der Cambridge University konnte den Sauerstoffverbrauch einer fliegenden Hummel messen. Er beträgt durchschnittlich 1,2 kJ pro Stunde. Veranschaulicht dargestellt: Ein Läufer verbraucht die Kalorien eines Marsriegels in einer Stunde. Eine menschengroße Hummel würde die gleiche Kalorienzahl in weniger als 30 Sekunden verbrauchen. Damit liegt der Energieumsatz einer fliegenden Hummel noch um 75% über jenem bereits sehr hohen eines fliegenden Kolibris.

Kohlenhydrate und Eiweiß
Bei diesem hohen Energieverbrauch für ihren Flug müssen Hummeln ständig fressen: Blütennektare sind die Kohlenhydrate für den Betriebsstoffwechsel der Hummeln. Hummeln brauchen daher in der Nähe ihrer Brutnester unbedingt Blütenpflanzen als Nektarspeicher. Sammlerinnen unter den Hummeln müssen bei ihren Sammelflügen nicht nur den eigenen Betriebsstoffwechsel aufrechterhalten, sondern auch noch Pollen für die Larven im Nest und Nektar mitbringen. Ellington  konnte mit Präzisionswagen auch feststellen, dass manche Hummeln bis zu 150 mg Futter pro Sammelflug einbringen, indem er die Hummeln über schmale Schläuche  und eine Präzisionswaage in ihr Labornest zurückfliegen ließ. Diese gesammelte Menge pro Flug entspricht fast ihrem eigenen Köpergewicht. Die Sammlerinnen sammelten diese Menge in knapp zwanzig Minuten und das viele Male am Tag.

Den Heimweg finden
Hummel sind wie auch andere Insekten Meister der Orientierung und Navigation. Fest steht heute, dass sie Sonne oder Sterne als Kompass nutzen können und dies auch an stark bewölkten Tagen, weil sie die Ebene des polarisierten Lichtes wahrnehmen können. Es gibt auch Hinweise darauf, dass Miniaturmagnete im Gehirn die Hummeln dazu befähigen, das  Magnetfeld der Erde wahrzunehmen. Der englische Hummelforscher und Universitätslehrer  Dave Goulson konnte auch nachweisen, dass Hummeln sich markante Geländemarken einprägen, um wieder sicher zu ihrem Brutnest  zurückzufinden. Die Orientierung  der Hummeln im Gelände, wenn Goulson  künstliche Hummelkästen an neue Standorte umstellte, dauerte knappe zwei Stunden, wobei die Hummeln sich in typischen Pendelflügen vor dem Flugloch hin und her bewegten und immer größere Distanzen vom Kasten wegflogen. Die Rekordentfernung, über die eine Hummel wieder erfolgreich zum Nest zurückgekehrt ist, betrug zehn Kilometer.

Das Hummeljahr
Bei den Hummeln überwintert nur die befruchtete Königin. Diese verbringt je nach Art 6-7 Monate des Jahres im Winterschlaf.  Wegen ihrer starken Körperbehaarung und Eigenwärme verträgt sie im Frühjahr kühle Lufttemperaturen und fliegt, wenn sie den Winter überlebt hat,  ausgehungert oft schon im Februar oder März auf der Suche nach Pollenstaub und Nektar. Die Eierstöcke in ihrem Hinterleib sind geschrumpft und benötigen Protein, um sich auszudehnen und Eier zu entwickeln.  Männliches Sperma ist in jedem Ovarium schon enthalten. Es stammt aus der Befruchtung des letzten Sommers von einem Männchen, das längst nicht mehr lebt. Im Laufe der nächsten Wochen werden die Königinnen allmählich dicker, und während sich ihre Eier langsam entwickeln, beginnt die Nestsuche. Viele Arten nisten gerne unter der Erde. Da Hummeln nicht besonders gut graben können, nehmen sie bestehende Löcher oder etwa Mausgänge an. Als Dämmmaterial  tragen sie Federn, Haare, Moos oder Gras ein. Unabhängig vom Nistplatz formt die Hummelkönigin aus dem Isoliermaterial eine lockere Hohlkugel mit einer Öffnung, durch die sie sich hineinzwängen kann. In diesem etwa Tennisball großen Hohlraum baut sie einen fingerhutförmigen Behälter aus Wachs. Das Wachs scheidet sie aus speziellen Drüsen im Hinterleib ab. Die Wachsplättchen  werden  mit den Beinen und den Unterkiefern zu einem Topf geformt. Diesen Topf füllt die Königin mit Honig. Unmittelbar daneben formt  sie in ihrem Brutnest noch einen zweiten Wachstopf, den sie mit Pollenstaub füllt, der von einem klebrigen Tropfen Honig zusammengehalten wird. Daraufhin legt sie in ein vorher geschaffenes Loch im Pollentopf sechzehn Eier, welche während der Ablage mit dem in ihrem Körper gespeicherten Sperma befruchtet werden. Die Zahl sechzehn wird durch die paarig angelegten Ovarien bestimmt, von denen jedes acht Eier auf einmal produzieren kann. Sodann bebrütet die Mutter die gelegten Eier ganz ähnlich wie ein Vogel! Sie formt die Pollenkugel so, dass oben eine flache Delle entsteht, in die sich ihr Körper schmiegt. Auf der Körperunterseite ist der Hummelpelz ganz dünn, genau wie der Brutfleck eines Vogels, so dass ein enger Kontakt zum Gelege gewährleistet ist. Nun beginnt die Hummel zu vibrieren und hält die Eier bei etwa 30°C warm, selbst wenn die Lufttemperatur außerhalb des Nestes zu Frühlingsbeginn nachts unter den Gefrierpunkt sinkt. Das Vibrieren verbraucht Unmengen von Energie. Eine Hummelkönigin verbraucht beim Bebrüten eine tägliche Zuckermenge, die ungefähr dem eigenen Körpergewicht entspricht, was den Besuch von bis zu 6.000 Blüten erfordert.  Die Königin lebt vom angelegten Honigtopf, den sie unmittelbar  neben dem Pollennest gebaut und gefüllt hatte. Wenn alles gut geht, schlüpfen nach etwa vier Tagen winzige kommaförmige weiße Larven. Diese Larven sind reine Fressmaschinen, die immer noch von der Königin selbst mit eingetragenem Futter versorgt werden müssen. Sind die Blumen als Futterquellen weit entfernt und die Sammelflüge der Königin lang, ist der Bruterfolg gering. Wer Hummelschutz betreiben will, muss deshalb Blumenstreifen säen und erhalten. Nach mehreren Häutungen verpuppen sich die Larven in eine Puppenhülle aus Seidenfäden und nach der Metamorphose schlüpfen die Junghummeln. Im Frühjahr legt die Königin Eier, aus denen ausschließlich Arbeiterinnen entstehen. Diese ersten Arbeiterinnen übernehmen nach ihrem Schlupf die Aufgaben der Brutpflege und des Futtersammelns. Die Königin konzentriert  sich jetzt auf das Eierlegen. Gegen den Sommer hin legen die Königin, aber auch weitere Arbeiterinnen unbefruchtete Eier, aus denen sich die männlichen Drohnen entwickeln. Die Königin legt außerdem noch weibliche Eier, aus denen die zunächst noch unbefruchteten Königinnen für den Sommerstaat  im nächsten Frühling entstehen. Gegen den Herbst hin findet in dem nach außen so friedfertig scheinenden Sozialstaat  der Hummeln ein regelrechtes Gemetzel mit der Tötung der alten Königin und der Drohnen statt. Die Arbeiterinnen sterben altersschwach nach mühsamer Sammeltätigkeit. Für den Fortbestand der Art bleiben befruchtete Königinnen übrig, welche im nächsten Frühjahr neue Hummelstaaten begründen. Je nach Art umfasst ein Hummelstaat zwischen 50 und 200 Tiere.  

Hummeln als Vibrationsbestäuber von Tomaten
Schon lange weiß man, dass Hummeln sehr effektive Bestäuber vieler Nutzpflanzen und Wildblumen sind. Rotklee und andere Pflanzen mit langen Kelchröhren  werden ausschließlich von Hummeln bestäubt. 1985 hatte der belgische Veterinär Dr. Roland De Jonghe entdeckt, dass es zu einer erstaunlich effektiven Bestäubung von Gewächshaus-Tomaten kam, wenn man dort ein Hummelnest platzierte. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Tomaten als sogenannte Vibrationsbestäuber in Gewächshäusern von Hand bestäubt worden: Arbeitsteams waren dreimal wöchentlich mit vibrierenden Stäben durch die Gewächshäuser gegangen und hatten damit jede Blüte einzeln berührt. Die hohen Lohnkosten für diesen Arbeitsschritt beliefen sich auf 10.000 Euro je Hektar. 1987 gründete De Jonghe die Firma Biobest, welche seither Hummelvölker künstlich erzeugt. Heute werden Hummeln vorwiegend der Art Dunkle Erdhummel (Bombus terrestris) weltweit in mindestens dreißig Betrieben produziert. Die europäischen Betriebe produzieren über eine Million Hummelvölker, die zur Bestäubung von Tomaten und Gurken in Gewächshauskulturen in alle Welt verschickt werden. Die kommerzielle Erzeugung von Hummelvölkern und deren Einsatz als Vibrationsbestäuber muss aber auch kritisch hinterfragt werden: Aufzucht und Vertrieb der Hummeln haben eine bedenkliche CO2-Bilanz. Hummeln entkommen aus Gewächshäusern in die Natur und treten dort in Konkurrenz zu den heimischen Hummeln oder hybridisieren mit ihnen. Die Massenzucht von Hummeln bietet optimale Bedingungen für die Ausbreitung von Insektenkrankheiten (durch Protozoen, Viren, Bakterien, Milben) ganz egal, wie sorgfältig Hummelzüchter zu Werke gehen.
 

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