Dienstag, 19 August 2014 09:06

Watten in Brandenburg

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P1000445Eine Vinschger Familie im brandenburgischen Ort Netzeband nordwestlich von Berlin, an der A 24 zwischen Neuruppin und Herzsprung.
Drei Söhne, alle schon außer Haus, die Eltern Martina und Hans Untersteiner bearbeiten gemeinsam das große Anwesen, das aus mehreren Gebäuden besteht.

Gestaltet und gegliedert wird der Hof großzügig durch Gärten, Freiräume, Spielflächen auch für Familien mit Kindern. Gebaut wird meist mit den bewährten Backsteinen, mit viel Holz, also mit Materialien aus der Gegend. Der Hans ist der Oberbaumeister und Techniker, der gerade dabei ist, einen Dachraum neu zu gestalten. Im Winter für Gespräche am offenen Kamin. Knisterndes Feuer regt an, erzeugt Einfälle. Während draußen der Schnee anlegt, behutsam und zögernd auf den Ästen gewaltiger Eichen. Noch aber ist Sommer.
reiterEs ist ein weites Land, diese Mark Brandenburg, das vor einem halben Jahrtausend über Heirat und eine Fürstenherrschaft mit Tirol verbunden war. Es ist völlig flach, wenngleich auch hier Flurbezeichnungen wie „Tal“ und „Berg“ üblich sind. In diesem dünn besiedelten Gebiet, das früher militärischen Übungen diente, gibt es jetzt wieder Treibjagden, also Erinnerungen an den Adel, der hier einst das Sagen hatte; einige der alten Geschlechter sind wiederum als Besitzer zurückgekehrt.
Zu DDR Zeiten wurde hier alles umgemodelt, aufgelassen, vernachlässigt. Erst jetzt wird wiederum das Ortsbild liebevoll gepflegt, die Dorfstraße wurde als Allee breit angelegt. An ihrem Ende steht eine Kirche des klassizistischen Architekten Karl Friedrich Schinkel (1781-18419), der aus dem nahe gelegenen Ruppin stammt. Also viel Kultur, ergänzt durch Veranstaltungen des äußerst rührigen Theatermachers Frank Matthus, der aus der Gegend stammt. Für diesen Sommer hat er das schwierige Shakespeare Stück „Der widerspenstigen Zähmung“ auf dem Programm … ein Netzebander Synchrontheater mit sprühenden Einfällen und mit reger Beteiligung auch einheimischer Spieler. Ganz ähnlich wie in Kortsch.
Und damit sind wir wieder in der Heimat, bei einem Glas Weißwein aus Vetzan; von dort stammt auch der Hans. Er verwahrt eine große Mappe mit der Aufschrift „Laggár“, mit großartigen Fotos des aufgelassenen Hofes am Vetzaner Sonnenberg. Erinnerungen an die Zeit, als der Hans die Absicht hatte, dieses herrliche Bergbauernreich zu erwerben, wieder zu beleben, aufzubauen, zu retten. Und dann erzählt er vom gescheiterten Versuch, vom Widerstand der Gemeinde, die von einer Neubelebung ihres Besitzes nichts wissen und nur alles verfallen lassen wollte. Das wäre die beste Politik, wurde ihm gesagt: „So fressen die Höfe kein Brot!“
emmaDer Hans regt sich immer noch auf, er spricht von seiner Enttäuschung, von seinem Versuch, die Gemeinde zu verklagen: Wegen Verwahrlosung eines Denkmals!
Also wegen Unterlassung einer kulturellen, gesetzlich verbindlichen Verpflichtung. Dabei durchblättert er die Sammlung mit den Bildern der alten, mühsam aus Steinen gefügten Mauern. Sie formen und herrschen noch immer, die Erde stützend, wie der Riese Atlas, der die Weltkugel auf seiner Schulter trägt.
Die Gemeinde wollte nicht helfen, scheute die Kosten, die damit verbunden wären; der mutige Hans wollte sie tätsächlich auf sich nehmen. Und dann, nach weiteren Versuchen in allen möglichen Ländern, kam das Angebot aus Brandenburg. Das Gegenteil von Laggár: Ein großer Hof, flach, 50 Hektar, preiswert, alle möglichen Begünstigungen. Trotzdem hat sich niemand getraut, diesen Hof zu kaufen. Er ist zu klein, um rentabel zu sein und zu groß für eine kleine Familie; mit Angestellten zu wirtschaften wäre völlig aussichtslos. So die resignierende Meinung der meisten Einheimischen, die völlig an die Staatsversorgung gewöhnt waren.
markische-hofeAber die Familie Untersteiner ließ sich nicht entmutigen, die neuen Herren vom Märkischen Hof haben zugepackt, haben Wirtschaftszweige erfunden und erweitert, durch den Reitbetrieb, durch das Restaurant Clavis, in dem wir sitzen und reden und Karten spielen.
„Blind Watten“… die Gäste aus Südtirol werden gleich eingespannt. Die anderen Partner kommen aus Brandenburg. Ganz begeistert wird also gezählt und geboten, mit unseren „Salzburger“ Karten. Es gefällt, das Tiroler Spiel. Es hat aber nichts zu tun mit dem Wattenmeer der Nordsee, auch nichts mit der Ostsee, deren Küste von hier aus schnell zu erreichen ist. Beiden „Ländern“, also Tirol und Brandenburg gemeinsam ist allerdings der rote Adler im Wappen. Gemeinsam - vor allem für Südtirol - sind zudem die schwierigen politischen Zeiten, die Bedrohung durch totalitäre Systeme, Faschismus, Nationalsozialismus, Kommunismus …
Wir sprechen über Brandenburg, über die Wiedervereinigung, die Wiederbelebung, über das gewonnene Selbstvertrauen und vergessen die Nöte der großen und kleinen Politik - beim Watten.
Hans Wielander 

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