Dienstag, 15 April 2014 00:00

Waidmannsheil

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s7 jagdDer Landesjägermeister Berthold Marx schweigt, der Amtsdirektor des Forstinspektorates Schlanders Mario Broll appelliert an die Vernunft: Im Wald-Wild-Konflikt steckt man in einer heiklen Phase. Am 1. Mai geht die Jagd auf, eine Woche zuvor, am 23. April werden die Abschusspläne ausgehandelt. Das Problem: Während ein guter Rotwildbestand die Vinschger Jäger erfreut, ruft die Forstwirtschaft immer lauter nach mehr Abschuss, weil der Vinschger Schutzwald stirbt.    

von Angelika Ploner

Berthold Marx meidet jeden Kommentar und bleibt stumm. Er stehe schon genug unter Beschuss, sagt der Landesjägermeister, im Vinschgau und im restlichen Südtirol. Eine Debatte will er nicht führen: weder mit dem Vinschgerwind, noch mit Mario Broll, dem Amtsdirektor des Forstinspektorates Schlanders. Erst nach dem 23. April wolle er reden, dann, wenn die Abschusspläne des Rotwildes erstellt sind. Bis dahin: schweigen.

Die Abschusspläne werden zwischen Vertretern der Jagd, der Forst- und der Landwirtschaft ausgeknobelt. Vorgestern (15. April, Anm. der Redaktion) gab es ein Vortreffen zwischen den Parteien, ein Novum, das verdeutlicht, wie angespannt das Verhältnis ist. Am Ergebnis ändern dürfte dieses Vorgespräch allerdings wenig. Die Abschusspläne des Rotwildes werden – so wie in den vergangenen Jahren -  auch heuer leicht nach oben korrigiert werden, während der Wild-Wald-Konflikt weiter schwellt. Ein guter Rotwildbestand erfreut nämlich die Vinschger Jäger, die Forstwirtschaft hingegen ruft nach mehr Abschuss. Weil der Vinschger Schutzwald stirbt, wollen sie den Rotwildbestand erheblich reduziert wissen. Ein Teufelskreis.

Rotwildparadies Vinschgau. Der Vinschgau gilt als Paradies fürs Rotwild: offene Flächen, wenig Wald, weite Almflächen, verhältnismäßig wenig Störung durch den Tourismus. Deshalb hat das Rotwild in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Zählte man im Jahr 2000 noch 1.613 Stück Rotwild im Bezirk Vinschgau, stieg die Zahl 2008 auf 2.619 Stück. Im vergangenen Jahr wurden 2.480 Stück gezählt. Lothar Gerstgrasser, Naturnser Forstwirt und Wildbiologe, berät die Jagdaufseher und Reviere in Wildbewirtschaftungsfragen. Die explosionsartige Vermehrung zeichnet er am Beispiel Naturnser Sonnenberg nach: 1951 wurde das erste Rotwild erlegt, 1968 – 17 Jahre später – das dritte Rotwild. 1983 brachte man 5 Hirsche und 11 Stück Kahlwild zur Strecke, 1998 acht Hirsche und 17 Stück Kahlwild, 2013 waren es – Achtung! - 29 Hirsche und 51 Stück Kahlwild. Diese Entwicklung kann man auch auf die restlichen Reviere Vinschgaus umlegen, dort verhält es sich nicht anders. Vor allem im Mittelvinschgau explodierten die Bestände in den vergangenen Jahren, im oberen Vinschgau sind die Zahlen leicht rückläufig.
Parallel dazu werden jedes Jahr die Abschusspläne im Jagdbezirk Vinschgau nach oben korrigiert. Bei der Jägerschaft kommt das nicht gut an. Und doch kommen sie ihrer Pflicht vorbildlich nach: In allen Revieren Vinschgaus lag die Abschussplanerfüllung in den vergangenen Jahren bei weit über 90 Prozent, nur in den Revieren Graun und Schluderns lag man darunter. Die Jägerschaft ist zur Abschussplanerfüllung verpflichtet.  1.196 Stück Rotwild hat man im Jahr 2013 erlegt. Zum Vergleich: 2012 waren es 1291 Stück, 2003 insgesamt 1090 Stück, im Jahr 1996 brachte man 647 Stück zur Strecke.

Bestandsregulierung ist Schlüsselfrage. Vor diesem Hintergrund geht den Jägern das Gestöhne der Forst- und auch Landwirtschaft - zu hohe Bestände, Wildschäden usw. - wider den Strich. Sie halten die Population für ausgewogen und können – zwar nicht vordergründig, aber doch - mit einem guten Bestand auch häufiger einen Trophäen-Hirsch erlegen. Nur am Rande erwähnt: Während im Rest Südtirols auf 100 Jäger nur 9 Trophäenhirsche entfallen, waren es im Jahr 2012 im Vinschgau immerhin deren 29, die sich 100 Vinschger Jäger teilten. Von der Jägerschaft gibt es deshalb weder ein klares Bekenntnis zur jährlichen Erhöhung der Abschusspläne, und schon gar nicht zu einer intensiven Bejagung und erheblichen Reduzierung des Rotwildes. Doch genau das - den Rotwildbestand stark zu dezimieren -, ist die Schlüsselfrage, die es im Bemühen um das Überleben des Vinschger Schutzwaldes zu beantworten gilt.

Vinschger Schutzwald stirbt. Dem Vinschger Wald bekommt die hohe Rotwilddichte nämlich schlecht: Rinden werden abgenagt, mit dem Geweih abgeschabt und junge Triebe verbissen. Junge Bäume kommen, so Mario Broll, der Amtsdirektor des Forstinspektorates Schlanders, kaum hoch, nur mit Umzäunungen und das kostet einen Haufen Geld (s. nebenstehendes Interview). Die Konsequenz für den Vinschger Wald: viel Altholz, kaum Dickung, wenig Stangenholz und große Verjüngungsdefizite. Das Wachstum des Vinschger Waldes ist nicht nur gebremst, es liegt über 60 Jahre  – so die Statistiken und Zahlen – im Rückstand. Zudem bietet der Vinschgau auch klimatische Nachteile für den jungen Wald. Geht diese Entwicklung weiter, droht der Vinschger Schutzwald zu sterben. Broll hat mit Jagdverantwortlichen und Eigentümern viele Revierbegehungen im Vinschgau gemacht. Das Problem ist bekannt, Taten fehlen bislang gänzlich. Broll: „Der Rotwildbestand bewegt sich weiterhin auf zu hohem Niveau.“  In Zahlen ausgedrückt: 8 bis 12 Stück Rotwild pro 100 Hektar Wald. Die Jäger, so Broll, erlegen seit Jahren nur den Zuwachs, deshalb konnte es überhaupt erst zu dieser hohen Rotwilddichte kommen.
„Lösen können das Problem einzig die Jäger. Sie kennen Wild und Wald am Besten,“ sagt Broll. Und: Sind per Jagdgesetz für die Hege von Wild und Wald verpflichtet. Doch was jeder Einzelne unter Jagd versteht ist recht individuell. Genauso individuell geht jeder mit dem Wild-Wald-Konflikt um. Berthold Marx macht es vor. Der Landesjägermeister schweigt.

 

„Ich appelliere an die Vernunft der Jäger“

Vinschgerwind: Unter den Vinschger Jägern sagt man: „Der Broll hat keine Ahnung von Jagd.“ Haben Sie Ahnung von der Jagd?
s7 2487Mario Broll (lacht): Also, wenn das die Wahrnehmung von manchen Jägern ist, dann werden sie schon ihre Gründe haben, warum sie das meinen. Ich dachte immer in meiner menschlichen und beruflichen Laufbahn etwas gelernt zu haben. Aber ich bin durchaus offen, noch weiterhin zu lernen, wenn entsprechende Argumente auf den Tisch gelegt werden.
Haben Sie nun Ahnung von Jagd?
Wissen Sie, diese Behauptung überrascht mich, aber lässt mich auch sehr gelassen. Mir hat man das nie ins Gesicht gesagt.
Dann ist das hier das erste Mal.
Ja, aber ich wiederhole: Wenn das die Wahrnehmung ist, wird es Gründe geben und die sollen sachlich und fachlich dargebracht werden.
Sie fordern, um 30 bis 50 Prozent mehr Kahlwild-Abschuss. Warum?
Auch das ist eine interessante Feststellung und ich nehme zur Kenntnis, dass ich das gesagt haben soll. Vielleicht geben sich die Jäger selber diese Ausrichtung?
Sie haben das nie gesagt?
Also, ich kann mich wirklich nicht erinnern, jemals eine solche Forderung gestellt zu haben.
Mit welcher Forderung gehen Sie dann in die Verhandlungen am 23. April, wenn die Abschusspläne erstellt werden?
Mit einer sehr einfachen Forderung, nämlich die eines Umdenkens. Fakt ist: Wir haben im Vinschgau die schönsten Lebensräume fürs Wild, die höchste Rotwilddichte, die höchsten Abschusspläne, die höchste Erfüllung dieser und die höchsten Wildschäden. Wenn man diese fünf Parameter zusammennimmt, ist die Wilddichte im Verhältnis zum Lebensraum eindeutig zu hoch. Und nun liegt es an den Jägern damit umzugehen. Denn im Artikel 1 des Jagdgesetzes steht drinnen, dass die Bewirtschaftung und Hege – zusammengefasst - im Einklang mit dem Lebensraum stehen soll. Das ist im Vinschgau leider nicht der Fall. Wir haben 1994 eine Wildschadenserhebung gemacht, seitdem ist die Population nachweislich nicht reduziert worden, das heißt, wenn man eine Milchmädchenrechnung macht: Die Schäden sind mindestens die gleichen geblieben wie 1994.
Ihre Forderung?
Ich stelle überhaupt keine Forderung. Ich appelliere an die Vernunft. Die Jäger kennen das Wild und die Reviere am besten und sollten diejenigen sein, die Lösungsansätze auf den Tisch legen, damit das Ziel Waldverjüngung erreicht wird. Der Schutz- und Bergwald im Vinschgau muss nachhaltig leistungsfähig bleiben.
Sie werfen den Ball damit den Jägern zu. Die Jäger aber sagen: „Wir schießen schon genug.“ Die Abschussplanerfüllung des Rotwildes liegt in den meisten Vinschger Revieren bei weit über 90 Prozent.
Ich kann nur an die Vernunft und an die soziale Verantwortung der Jäger appellieren. Die Wald- und Weidepläne, die jetzt erstellt wurden, sehen eine Verminderung der Holznutzung von 15 bis 30 Prozent vor. Was heißt das? Das bringt einen vermögensrechtlichen Schaden für den Eigentümer mit sich. Der Wald ist tendenziell alt und es fehlen die Jugendphasen. Das ist vergleichbar mit der Gesellschaft. Wenn es in einer Gesellschaft nur mehr 70- oder 80-Jährige gibt, dann ist diese nicht mehr leistungsfähig. So ist es mit dem Vinschger Schutzwald.
Provokant gefragt: Hat wirklich das Rotwild Schuld am schlechten Zustand des Waldes oder tut die Forstwirtschaft zu wenig für den Vinschger Wald?
Also die Forstwirtschaft hat sicher nicht zu wenig getan, diesen Vorwurf weise ich entschieden zurück. Naturnahe Verjüngung ist unsere Devise seit 1956 und das gelingt uns auch. Im Rest von Südtirol besser als im Vinschgau. Im Vinschgau muss man den Wald schützen und die Bäume umzäunen. Ein Viertel Hektar Zaun kostet 4.000 bis 5.000 Euro. Wenn ich das hochrechne, dann kostet das Umzäunen einen Hektars 20.000 Euro.
Auf der einen Seite fordern Sie mehr Abschüsse, auf der anderen Seite verweigern Sie Jägern Fahrgenehmigungen. Wie geht das zusammen?
Das stimmt nicht. Wir haben eindeutige Richtlinien, die die Vergabe der Fahrgenehmigungen regeln. Diese Richtlinien sind mit dem Jagdverband ausgehandelt und wir halten uns dran.
Wie könnte ein angemessener Wildbestand im Vinschgau aussehen?
Ein angemessener Wildbestand im Vinschgau ist der, der eine angemessene natürliche Waldverjüngung zulässt.

 


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