Dienstag, 30 Mai 2017 12:00

Die Diskussion beginnt neu

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s6 uebersichtsplanStilfserjoch/Vinschgau/Stilfs - Die Zeit ist reif, die Diskussion über eine mögliche Seilbahnverbindung zwischen Stilfs und dem Stilfserjoch neu zu beginnen. Dieser Überzeugung sind potente Investoren aus dem Vinschgau. In den Reihen der Hoteliers auf dem Joch, in Trafoi und auch in der Stilfser Gemeindestube, im Nationalpark Stilfserjoch und in der Landesregierung wird man sich mit dieser Diskussion auseinandersetzen müssen.

von Erwin Bernhart

Die Diskussion ist eröffnet. Denn die Gerüchte darüber, das Stilfserjoch mit einer Seilbahn von irgendwo zwischen Stilfs und den Drei Brunnen aus, erschließen zu wollen, haben sich im Vinschgau dermaßen verdichtet, dass der Vinschgerwind der Sache auf den Grund gehen will.

Es gibt potente Investoren aus dem Vinschgau, die in diesem Zusammenhang nicht genannt werden wollen, aber bestätigen, dass es bereits eine Machbarkeitsstudie für die seilbahntechnische Verbindung gebe. Neu ist die Diskussion nicht, denn vor rund 20 Jahren wurde der letzte Anlauf für eine Seilbahn auf’s Joch in der Gemeindestube von Stilfs versenkt. Damals, 1998 und 2001, war Hofer-Zeit und damals war es der deutsche Investor Walter Klaus, der die Seilbahnen Sulden vor unliebsamer Konkurrenz geschützt wissen wollte. Die Gemeindeverwalter von Stilfs wollten damals, dass Walter Klaus auch das darbende kleine Skigebiet Trafoi übernehmen solle. Man hätte, so die Logik damals, Klaus mit einer Jochseilbahn verschreckt. Also hat man das Ansinnen versenkt.
Und dies, trotz starker Argumente dafür, die auch der Regionalentwickler und Universitätsprofessor Gottfried Tappeiner vorgebracht hat. Im damals noch Athesia-freien Vinschger hatte Tappeiner eine 4-Punkte-Argumentation angebracht, die heute - 20 Jahre später - an Gültigkeit sogar dazugewonnen haben.

Die Seilbahnen Sulden decken seither das jährliche Defizit der Seilbahnen in Trafoi, haben dafür das Skigebiet in Sulden herrichten, ausbauen und erweitern können. Sulden läuft gut, weil Höhe und Temperaturen stimmen. Die Winter aber, so die Erfahrung, ändern sich. Nicht nur in Trafoi auch in anderen Skigebieten. Nur mit großer Mühe und dem Schneemachen holden Temperaturen ist es möglich, Skigebiete vor Weihnachten zu eröffnen. Trafoi treffen warme Winter hart. Denn der obere Lift, neu gebaut, ist wegen Schneemangels im Winter oft geschlossen. Die Gäste beginnen Trafoi im Winter zu meiden.
Die Schneegrenze steigt nach oben und mit der Schneegrenze der Bedarf, der Drang, auch Skigebiete nach oben zu verlegen. Überall ist das nicht möglich. Am Stilfserjoch - dem einstigen und einstmals einzigen  sommerlichen Gletscherskigebiet Südtirols - ruft der Winterschnee. Zumindest in der Vor- und Nachsaison herrschen am Joch traumhafte Bedingungen. Namhafte Skirennläufer, Nationalteams, Jugendmannschaften aus aller Herren Länder geben sich am Joch die Klinke - die Torstangen - in die Hand: Aksel Lund Svindal, Anna Fenninger Veith, junge RennläuferInnen, deren Namen heute noch unbekannt aber deren Ambitionen groß sind. Die Skistars sagen, dass am Joch genau jene Schneebedingungen vorzufinden sind, wie sie bei den Weltcuprennen vorherrschen. Pickelharte Pisten lange vor Sonnenaufgang. Das sagt auch einer der wenigen Südtiroler Hoteliers, die am Stilfserjoch die Stellung halten: Karlheinz Tschenett. „L’ultimo crucco“ wie ihn einige benachbarten italienischen Hoteliers nennen. Tatsächlich ist Tschenett neben Alfons Thoma vom Hotel Tibet so etwas wie der letzte Mohikaner auf dem Joch. Vor ein paar Jahren hat ihm das Mohikanerdasein wirtschaftlich fast das Genick gebrochen. Sein Hotel stand kurz vor der Pleite. Rettung kam in letzter Minute. Seither und seit Tschenett einen Teil des Madatschgletschers für Trainingsläufe der Skiasse und Mannschaften nutzt, läuft’s wieder. Die Trainingspiste auf dem Madatschgletscher, im Bauleitplan der Gemeinde Stilfs und im Skipistenplan regulär eingetragen, ist ohne Lift. Eine Schneekatze oder Skidoos bringen die Stars von heute und jene von morgen wieder nach oben. Im Winter aber ist am Joch alles verriegelt, vernagelt und zugesperrt. Das Joch ist im Winter tot und trostlos, trotz unglaublicher Schneeverhältnisse, trotz unglaublichen Panoramas und vorhandener Infrastrukturen. Ein komplett eingerichtetes Skigebiet ist im Winterschlaf.
Für Tschenett wäre eine Seilbahn von Stilfs auf’s Joch wie Balsam.

Ein komplett eingerichtetes Skigebiet ist im Winterschlaf.

Aber nicht nur für Tschenett. Die Überlegungen, die sich die Investoren machen sind viel weitläufiger: Das Stilfserjoch ist im Sommer ein Wandergebiet, ein Bikegebiet erster Klasse. Mit einer Seilbahn könnte dies viel breiter erschlossen werden - ohne Autos, ohne Bus - umwelttechnisch quasi nationalparkkonform.
Dann die berühmte Stilfserjochstraße: Das Bestreben, die Wünsche, die legendäre Jochstraße im Sommer für Radrennen oder einfach nur für Fahrräder, für Marathons, für Oldtimer, für Motorradfahrten, für weiß Gott was, zeitweilig bzw. tagweise zu sperren, nimmt zu. Irgendwie hat man das Gefühl, dass die  weltberühmte Jochstraße für viel mehr genutzt werden könnte, als für den reinen Verkehr.
Da kommt die Seilbahn ins Spiel - Wanderer, Biker, Bergsteiger könnten mit der Bahn transportiert werden - die Straße für Events wär’ frei. Und auf dem Joch würde den Standlbetreibern, den Würstlbratern  und den Geschäften das Geschäft durch die Straßensperrung nicht vermiest. Derzeit fährt die SAD, also der öffentliche Bus, bis zu 7 mal täglich auf’s Joch, bei Gutwetter immer voll besetzt. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass das Joch bei Wanderern beliebt ist.
 
BM Hartwig Tschenett: Diskussionen sind zulässig und vernünftig.

Der Stilfser BM Hartwig Tschenett ist in informellen Gesprächen in die Pläne der Investoren eingeweiht. Offiziell sei noch gar nichts, sagt Tschenett. Wenn dem so wäre, müsse zuerst der Gemeinderat informiert werden. Nur allgemein sagt Tschenett, dass Diskussionen über das veränderte Klimaverhalten, dass Diskussionen über Lösungsvorschläge des Skigebietes Trafoi, dass auch Diskussionen darüber, wie der öffentliche Personentransport auf das Joch hinauf neu gedacht werden könnte, durchaus zulässig und vernünftig seien. Bringt man eine Seilbahn von Trafoi auf das Joch ins Spiel, gäben sich unzählige Diskussionsvarianten. Tschenett ist sich bewusst, dass es Befürworter und Gegner geben werde. Sein Wunsch sei es auf jeden Fall, dass, wenn so etwas konkret werden würde, diese nur gemeinsam mit den Seilbahnen Sulden  bewerkstelligt werden solle.

Die Investoren sagen dasselbe: Man wolle die Seilbahnen Sulden und, wenn möglich, auch die SIFAS, jene Gesellschaft, die am Stilfserjoch die Skilifte betreibt,  mit im Boot haben. Dafür haben sie ehemals hochrangige Politiker gebeten, mit Werner Netzer, dem Alleinverwalter der Seilbahnen Sulden, Kontakt aufzunehmen und ihn von der Sinnhaftigkeit einer Seilbahn auf’s Joch und vor allem auch von der Sinnhaftigkeit eines gemeinsamen Vorgehens zu überzeugen. Mit einer Beteiligung der Suldner Seilbahnen an eine neu zu gründende Aktiengesellschaft etwa. Ein potenzieller Investor sagt, ohne Sulden werde nicht investiert.

Die Seilbahnen Sulden will man mit im Boot haben.

Tatsächlich ist die Planung im Hintergrund weiter gediehen als die Diskussion in der Öffentlichkeit. Denn der bekannte Ingenieur Erwin Gasser, der schon vor knapp 20 Jahren einen Verbindungslift zwischen Stilfs und dem Joch geplant hatte und der aktuell die Verbindung zwischen St. Valentin und Schöneben mehrmals umplanen musste, hat bereits eine Machbarkeitsstudie im Auftrag von Karlheinz Tschenett mit Billigung der Investoren erstellt. Mit Daten, Zahlen, Pisten, Tal- und Bergstation. Die Talstation, so die Idee, könnte am Campingplatz in Neuwies zwischen Trafoi und den hl. Drei Brunnen entstehen. Ein Seilbahnknick mit einer Mittelstation in der Nähe des Weißknottes stellt die Linie direkt am Bergrücken gegenüber der Stilfserjochstraße ein. Mit einem zweiten Knick und einer zweiten Mittelstation biegt die Seilbahn auf Jochhöhe in Richtung „Baita Ortler“ von Karlheinz Tschenett ab und dort wäre auch die Bergstation. Die lawinengefährliche Talsenke wäre so umgangen und die Fahrt mit beidseitigem Panoramablick - einmal auf den Straßenverlauf, einmal auf den Madatschgletscher - unvergleichlich.  Um die 30 Millionen Euro könnte das Unterfangen kosten. Zieht man mögliche Landesbeihilfen ab, bleibt den Investoren doch ein erklecklicher Investitionsanteil. Aber nur soviel: Das Potenzial, diesen Teil der Investition zu bestreiten, ist zweifellos vorhanden.
Die Bedingungen von vor 20 Jahren haben sich grundlegend geändert. BM Hartwig Tschenett sagt, dass er als BM an keine Versprechungen aus der Vergangenheit gebunden sei. Die Diskussion um eine Seilbahn auf’s Joch ist wiederum eröffnet - mit geänderten Vorzeichen.

 

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