Dienstag, 18 April 2017 12:00

Fünf vor zwölf

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s6 6613Die 550 Imkerinnen und Imker im Vinschgau von Reschen bis Töll halten rund 6.000 Bienenvölker. Heimisch ist die Carnica-Biene. Doch andere Rassen sind im Anflug. Das befeuert die Forderung nach einer Schutzzone. Bedrohlich für die Bienen sind Pflanzenschutzmittel in Intesivkulturen und auch in Hausgärten sowie die Verarmung der Natur. Sensibilisierung und Umdenken sind gefragt.

Von Magdalena Dietl Sapelza

Immer öfters sind Obstbauern zu beobachten, die mit ihren Sprühern nachts die  Pflanzenschutzmittel in ihren Anlagen ausbringen. Was viele Betrachter vor dem Hintergrund der jüngsten Pestizid-Debatten als verborgene Tätigkeit deuten, wird von den Imkern als großes Entgegenkommen geschätzt, als Schutz für die Bienen, die sich nachts in ihren Stöcken befinden.

Ausschließlich in der Blütezeit herrscht absolutes Spritzverbot. „Calypso gegen Besenwuchs wurde 2016 auch während der Blüte gespritzt“, weiß Robert Gander. Er war 18 Jahre lang Obmann des Imkerbezirks Obervinschgau. Der Beratungsring bewirbt das Mittel für Bienen und Insekten als unschädlich. Doch Gander hat wie andere Umweltschutz-Fachexperten seine Zweifel. Für ihn ist es in der gesamten Pestizid-Problematik „fünf vor zwölf“. Das könne er nach 35 Jahre als Imker sagen, betont er. Es werde im Hinblick auf die Bienen grundsätzlich zu viel gespritzt, auch im intergrierten Anbau, der sich verpflichtet, Mittel behutsam undn nur bei Bedarf kontrolliert einzusetzen. Die Bienen seien im Laufe des Sommers bei ihrem Besuch von blühenden Unterkulturen in den Obstplantagen oder durch Abdrift in den angrenzenden Wiesen den laufenden Spritzungen und den unterschiedlichsten schwer abbaubaren chemisch-synthetischen Stoffen ausgesetzt. Diese schaden - wenn auch oft im Einzelnen nicht als nicht gefährlich deklariert - den Bienen als Gesamtcocktail. „Die chemisch synthetischen Pflanzenschutz-Cocktails schwächen die Bienenvölker langfristig und dezimieren sie“, so Gander. Unter den Bestandteilen mancher Mittel seien Wirkstoffe, die das Nervensystem der Bienen angreifen und diese so verwirren, dass sie nicht mehr zu ihrem Stock zurückfinden. Das führe zu einem schleichenden Verlust. Schwache Völker seien auch für die Varroa-Milbe anfällig. Diese Milbe ist in den vergangenen Jahrzehnten zum großen Feind der Biene geworden. Aus den oben genannten Gründen hat sich Gander mit seinen Bienenstöcken aus den Intensiv-Obstanlagen gänzlich zurück gezogen. Fast alle Imker verlegen ihre Stöcke schnell nach der Blüte in von Pestiziden geschütztere Regionen. Die biologische Landwirtschaft kommt den Insekten entgegen, weil Pflanzenschutzmittel natürlichen Ursprungs und schnell abbaubar sind. Eine Bioregion Vinschgau, wie sie vor dem Hintergrund der Malser Pestizid-Initiative derzeit öfters Thema ist, käme den Bienen und anderen Insekten sehr zugute. Ganders Nachfolger im Bezirk Obervinschgau, Othmar Patscheider, teilt diese Einschätzung im Allgemeinen. Er attestiert jedoch den meisten Bauern im Vinschgau, die zum Großteil intergrierten Obstbau betreiben, ein Entgegenkommen im Rahmen des Möglichen. „Wir sind mit Beratungsring und Bauern in ständigem Austausch zum Schutz der Bienen und um ständige Verbesserung bemüht“, so Patscheider. Auch der Obmann im Bezirk Untervinschgau, Konrad Tscholl erklärt, die Obstbauern hätten verstanden, dass es ohne Rücksichtnahme nicht geht. Das Bewusstsein sei da, dass man sich gegenseitig braucht. Es ist ein Geben und Nehmen. Für die Bestäubung der Intensivkulturen braucht es die Bienen, und die Bienen brauchen den Nektar, der den Imkern den Honig bringt. Im Großen und Ganzen dürfe man nicht schimpfen, wenn es auch vereinzelt immer noch schwarze Schafe gebe. „Wir müssen miteinander reden und besser informieren“, so Tscholl. Er ist überzeugt, dass man dann auch die letzten schwarzen Schafe „bekehren“ kann. Ein kooperativer Partner der Imker ist der Verband der Vinschger Produzenten für Obst und Gemüse VI.P). Er zahlt Bestäubungsprämien an Ortsgruppen und an Imker (pro Bienenvolk 15 bis 20 Euro; pro Ha Obstwiese braucht es zirka zwei Bienenvölker) Der Verband VI.P. unterstützt seit 25 Jahren auch die Königinnenreinzucht mit jährlich 10.000 Euro.
Im Vinschgau ist seit mehreren Jahrzehnten die „Krainer Biene“ – die so genannte „Carnica-Biene“ heimisch. Es ist eine natürliche Unterart der westlichen Honigbiene. Sie ist gutmütig, dem Gebirge angepasst und kommt mit warmen Sommern und kalten Wintern gut zurecht. In Bedrängnis kommt die Carnica Biene unter anderm durch die Buckfast Biene, die vorwiegend von Berufsimkern gezüchtet wird, weil sie produktiv ist. „Wenn die Natur wenig hergibt, raubt die Buckfast sogar Stöcke aus. „Sie ist geeignet für Gegenden mit viel Pollenangebot, der sogenannten Tracht, doch diese ist in unserem Tal nicht immer gegeben“, erklärt Gander. Die Vinschger Imker möchten an der Carnica festhalten. Bei einer Unterschriftensammlung haben sich 100 Prozent der Obervinschger Imker und 95 Prozent jener im Untervinschgau für eine Carnica Schutzzone ausgesprochen Eine Carnica Reinzucht-Belegstelle befindet sich im Pfossental Schnalstal. Dorthin bringen die Imker ihre Bienenköniginnen zur Begattung durch die Drohnen, um die Zucht der „Carnica“ weiter zu bringen. „Idealer wäre natürlich die Standbegattung“, meint Gander. Er stellt interessierten Imkern am Eingang des Matscher Tales bei Schluderns sein Carnica Reinzucht Prüfvolk für Zuchtmaterial zur Verfügung. Was den Wunsch nach einer Carnica-Schutzzone betrifft sei man im Gespräch mit dem Imkerbund und mit den zuständigen politischen Stellen, sagt Patscheider. Man verhandle, auch mit dem Königinnenzuchtverband um eine weitere Carnica Reinzucht Belegstelle in Trafoi mit einem gewünschten Schutzradius von mindestens fünf Kilometern. Die Reaktionen von politischer Seite her seien bislang sehr verhalten, man trete auf der Stelle, so Patscheider. Konrad Tscholl sagt, „Schutzzone“ ist ein weitläufiger Begriff. Meiner Meinung nach wäre es Schutz genug, wenn Buckfast-Imker ihre Bienen nicht in den Vinschgau bringen würden. Da gelte es anzusetzen, um einem Mischmasch in der Zucht vorzubeugen. „Wir  Imker im Vinschgau möchten die angepasste heimische  Carnica Biene beibehalten“, so Tscholl. Landesrat Arnold Schuler kennt die Thematik. Bei einem Besuch in einer Carnica Schutzzone in Kärnten habe man ihm davon abgeraten, weil eine Schutzzone schwer kontrollierbar ist. Auch im Vinschgau sei eine Schutzzone nur schwer zu bewerkstelligen, da das Tal nicht geschlossen ist und im Untervinschgau bereits andere Bienenrassen aktiv  sind. Bei der Errichtung einer Schutzzone wären neue Konflikte vorprogrammiert, sagt Schuler dem Vinschgerwind. Eine Carnica Reinzucht Belegstelle in Trafoi wäre für Schuler machbar.
Bienen, ob Carnica, Buckfast oder andere habe es grundsätzlich schwer. Sie leiden nicht nur unter dem Pestizid-Einsatz sondern auch unter der Verarmung der Landschaft. Monotone intensive Bepflanzungen entziehen ihnen die Nahrungsquellen. Blumenwiesen sind selten geworden und vielerorts wird der monotone englische Rasen gepflegt. Naturbelassene Ausweichflächen in den Talsohlen sind kaum noch vorhanden. „Ein großes Problem ist auch die Ausbringung von Pflanzenschutz in den Hausgärten. Dort werden oft gedankenlos chemische Keulen eingesetzt. Denn schädliche Pflanzenschutzmittel gibt es überall problemlos zu kaufen. „Und Kontrolle gibt es keine“, sagt Gander. Imkerinnen und Imker wollen sensibilisieren, nicht nur die Obstbauern, sondern auch die Garten- und Balkonpflanzenbesitzer. Alle sind gefordert, den Lebensraum der Bienen und anderer Insekten zu schützen.

INFO
Der Südtiroler Imkerbund setzt sich aus 14 Imker-Bezirken zusammen. Verbandsobmann: Engelbert Pohl

Der Vinschgau ist in zwei Bezirke aufgeteilt:

Bezirk Untervinschgau
(von Tschengls bis Plaus)
340 Imker – ca 4.000 Bienenvölker; Obmann: Konrad Tscholl

Bezirk Obervinschgau
(von Spondinig bis Reschen)
210 Imker – ca  2.000 Bienenvölker; Obmann: Othmar Patscheider

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