Dienstag, 29 November 2016 09:26

„Unter Mussolini sitzn bliebm, untern Hitler aufgstiegn“

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s17 1142von Andreas Paulmichl

Ein Besuch im Haus Stocker in Laatsch ist immer wieder spannend und informativ, fast schon ein Erlebnis, wenn man sich für Vergangenes, für die Historie, interessiert. Das Haus, voller Geschichte, historischer Relikte und fassbarem Wissen über die Laatscher Vergangenheit, in mühevoller Kleinarbeit und in unzähligen Stunden und Tagen zu einem umfassend angelegten Archiv zusammengetragen, vermittelt den Eindruck eines heimeligen, gepflegten Privatmuseums zur Sichtbarmachung der Dorfgeschichte.

Porträts der Vorfahren und der Familienmitglieder zieren die Räume. Bilder, Stiche, Drucke und Zeichnungen geben Zeugnis über zum Teil umgebaute oder gar nicht mehr existente Häuser des mittelalterlichen Dorfes Laatsch. Eine eigene, selbstgefertigte Serie von Aquarellen und Ölgemälden mit sorgfältig, detailgetreuem Pinselstrich ausgeführt, stellen malerische und historische Motive aus der unmittelbaren Umgebung dar und konservieren sie so für spätere Generationen. Das Leben und Schaffen des Luzius Stocker auf eine Seite des „Wind“ zu bringen wird, angesichts der Fülle und des Reichtums seines geistigen, künstlerischen und gesammelten Schatzes zur Herausforderung, ja fast schon zu einem Ding der Unmöglichkeit. Luzius erblickte vor genau 80 Jahren, am 14. Dezember 1936, beim „Stocker“ im Laatscher Ortsteil „Flutsch“, in unmittelbarer Nähe zur schmucken St.-Leonhards-Kirche, das Licht der Welt. Seine Geburt kurz nach dem Laatscher Kirchtag und die Tradition des Namens in seiner Familie, sind ausschlaggebend für die Wahl der Eltern, den zweiten Sohn auf den Namen des Pfarrpatrons zu taufen. Vielleicht haben dieser geschichtsträchtige und architektonisch wertvolle Ort und der Umstand, in ein Haus hineingeboren worden zu sein, das von Geschichte nur so strotzt, beigetragen, um im jungen Luzius bereits schon die Leidenschaft zur Vergangenheit und das unermüdliche Bestreben, neue Erkenntnisse für die engere Heimat daraus zu gewinnen, geweckt. So findet der wissbegierige Luzius Stocker später heraus, dass sein Heimathof bereits als landesfürstliches Lehen im 14. Jahrhundert aufscheint und sich seit 1696 in „stockerschem“ Besitz befindet. Im Jahr 1939 entscheidet sich die Familie für den Verbleib in der Heimat. „Earsch nochher honi verstondn brum Flutsch s’walsche Egg gwesn isch, weil dr Groaßtoal fa di Lootscher Dobleiber sein in Flutsch drhoam gwesn.“ Dann kommt auch für Luzius die Zeit, die Schulbank zu drücken. Ein Jahr lang heißt es für ihn noch „tutto italiano“ und ausgerechnet wegen der Fächer „Schönschreiben, Zeichnen und Lesen“ bleibt er sitzen. Interessanterweise sind es jene Fähig- und Fertigkeiten, die in seinem späteren Leben Beruf und Leidenschaft wurden. „Sogor dr erschte Lektor in dr Kirch bini gwortn, a wenni int Schual nit gearn glesn hon“, sagt Luzius verschmitzt. Die restlichen Schuljahre waren deutsch und das Lernen fiel leichter. „Untern Mussolini huckn bliebm, untern Hitler aufgstiegn“, bemerkt er schmunzelnd zu seiner Schulkarriere. Bereits seit frühen Kindheitstagen lernt Luzius das Zu- und Anpacken in der Landwirtschaft. Mit dem ersten sauer verdienten Geld kauft er sich Ölfarben und Pinsel und beginnt in der Freizeit mit der Malerei. Anfang der 60er Jahre erlernt er bei einem ausgewanderten Laatscher in Singen (D) den Malerberuf. Luzius macht sich selbständig, auch um flexibler zu sein, denn seine Arbeitskraft am heimatlichen Bauernhof ist unerlässlich. Bald darauf tritt Klara Tedoldi in sein Leben, das Eigenheim im Laatscher Ortsteil Preer entsteht und drei Kinder, ein Sohn und zwei Töchter, werden geboren. Viele Arbeiten am und im Haus nimmt Luzius selber in die Hand. Auch die von ihm mit Motiven des bäuerlichen Arbeitslebens bemalte und verzierte Holzdecke der Stube ist Eigenarbeit. Er engagiert sich mit Herzblut in den Vereinen und Verbänden des Dorfes: im Kirchenchor, im Pfarrgemeinderat, im Friedhofskomitee, in der Fraktionsverwaltung, im Schulrat, im Ortsausschuss der SVP und im Vorstand der „Lootscher Fosnocht“, die er mit einigen Mitstreitern revitalisiert. Er restauriert Bildstöcke und „Marterln“, setzt schmiedeiserne Grabkreuze in Stand und verbringt viel Zeit mit der Archivarbeit. Er transkribiert akribisch Wappenbriefe, Urkunden, Urbare, Kaufverträge und Kirchenrechnungen. Auch bedeutende Funde lassen sein Herz höherschlagen, so zahlreiche Tonscherben und geritzte Knochen bei Aushubarbeiten für Neubauten im Dorf und eine Bronzefibel aus dem 10. Jahrhundert am Friedhof von Laatsch. Hart trifft Luzius und die gesamte Familie der tragische Unfalltod von Sohn Michael zu Allerseelen 2001. Altpfarrer Georg Tumler versorgt Luzius in diesem schweren Lebensabschnitt mit Schriften aus dem Pfarrarchiv, die er sorgfältig bearbeitet und sich so ein wenig Ablenkung verschafft. In dieser Zeit entsteht eine umfassende Sammlung zur Laatscher Familien- und Häusergeschichte. 2011 werden seine Verdienste und sein Einsatz für die Heimat besonders gewürdigt: Luzius wird in Innsbruck die Verdienstmedaille des Landes Tirol verliehen. Fast gleichzeitig macht sich eine heimtückische Krankheit bemerkbar, die immer wieder Krankenhausaufenthalte nötig macht und ihn schwächt. Es gibt Höhen und Tiefen. Doch Luzius lässt sich nicht entmutigen. Bei fast jedem Wetter dreht er mehrmals am Tag seine Runde, tätigt Einkäufe für seine Frau, gönnt sich einen guten Kaffee im Gasthaus und nimmt sich Zeit für ein „Ratscherle“ mit den Dorfleuten, die er unterwegs trifft. Bleibt dem Jubilar zu wünschen, dass dies noch eine Zeitlang so sein kann.

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