Dienstag, 13 November 2012 00:00

Zeus und die Künstler

michl1lDie erste Frau für Schüler des Realgymnasiums war eine „Liegende“ aus Sandstein; sie entstand 1973 und lag lange in der Grünanlage eines Schulhofes. Das Bildwerk konnte mit den Händen erfahren, also auch berührt werden. Tiefe Einschnitte, der Kopf wird sichtbar, Räume entstehen, vor allem aber das Becken. Der Körper aus weichen Steinwülsten. Massen verlagern sich. Die Glieder wachsen und schwellen wie gesponnene Wolle. In langsamer Drehung die Umkehr.
Damit beginnt die „Entwicklung“ des Knäuels, den wir Frau nennen. Die „Liegende“ begleitet den Künstler durch sein ganzes Lebenswerk, in unendlich reichen Abwandlungen, gezeichnet, gemeißelt, gegossen. In Tälern und Höhen, im Wasser und im Himmel, überall begegnet der Michael der Frau. Ganz ähnlich darin dem Göttervater Zeus auf dem Olymp.
Der Ulrich erklärt mir die Zeichnungen in Kohle oder Bleistift, die Kaltnadelradierungen auf Aluminium, die in Metall geritzten „Refer“, die sich immer wieder in Frauenakte verwandeln. Abgründe, Geröllflüsse, Felswölbungen und Schichten wachsen und steigen suchend auf. Hin zu seinem Lieblingsberg, zum heiligen Berg Jenn. Michael Höllrigl wurde 1936 in Laas geboren, lebt und arbeitet in Lana und auf Parnetz, in der Nähe seines Geburtsortes am Laaser Nördersberg.
Der Göttervater Zeus liebte viele Frauen. Als Vater der neun Musen ist er zuständig auch für die Künste. Vor allem kennen wir ihn durch die Kunst der Annäherung, der sinnlichen Annäherung. Was wir auch Liebe nennen. Für Zeus wird  diese Kunst in den verschiedensten Spielarten und Verwandlungen überliefert. So näherte er sich auf einer kleinen Insel der Jungfrau Europa in der Gestalt eines mächtigen, sanften Stieres; danach entführte er die schöne Königstochter auf festes Land: Damit beginnt Europa.
Einer anderen Frau, der ebenfalls schönen Danae, nähert er sich in Form eines Goldregens. Geld und Gold locken; immer wieder haben Künstler auch diese Verführung dargestellt.
Oft sind die begehrten Frauen verheiratet, wollen treu bleiben und versuchen sich den Nachstellungen des Göttervaters durch Verwandlung zu entziehen. Leda verbirgt sich in der Gestalt einer Gans. Aber Zeus nähert sich ihr in der Gestalt eines Schwanes und verführt sie erfolgreich. Diese Verführungen, so absurd sie auch sind, werden vom griechischen Götterhimmel immer wieder erzählt, dargestellt und überraschend abgewandelt.
Weniger bekannt ist dabei seine Liebe zu der kleinen und zierlichen Nymphe Klitoris. Er nähert sich ihr in der Gestalt einer Ameise. (Wenn das erzählt wird, schauen die Frauen eher unglücklich drein).
Mit dem Namen der Nymphe Klitoris bezeichnen die Mediziner den Kitzler der weiblichen Scham, den einzigen Körperteil, der ausschließlich dem Vergnügen dient. Erotische Erwartungen kreisen immer wieder um diese schöne Unbekannte.
michl2Der Zeichenstrich des Künstlers irrt liebevoll suchend wie der Göttervater Zeus; er ist in vieler Hinsicht Vater auch der Künstler, die in unermüdlicher Weise Verführungen versuchen, finden, uns mitteilen. Und sich oft in die Einsamkeit, auf einen Berg, zurückziehen. Das Volk der Ameisen - so erzählen es griechische Sagen - erneuerte immer wieder die durch Krieg oder Pest menschenleer gewordenen Inseln: Aus der Kraft der Erde, also aus dem Lebensraum der Ameisen, kommt neues Leben.
Michael Höllrigl zeichnet zwölf liegende, zwölf lebensgroße Frauenkörper mit Kohle auf Papier, den „Fries der schwarzen Frauen“. Dazu zwei erklärende Texte eines Freundes: Die Frau ist die Schöpfung des Mannes. Aus Adams Rippe entstanden, gewinnt sie an Gestalt... Endlich teilt sich die Liegende zum Menschenpaar. Der Mann ist die Schöpfung der Frau.
Damit schließt sich der Kreis eines großen Künstlerwerkes, eines Künstlervaters, der Samen in die Welt streut. Diese Samen hat Heinrich Schwazer in einem umfangreichen Buch gesammelt. Bauplastik, kirchliche Kunst, Porträts, darunter auch der Tod der Katze Olga, eine Fuge für Roland Kristanell,.. bei aller Vielseitigkeit des Künstlers immer wieder der zurücksinkende Michael.
Zurücksinkend in den Schoß des Weiblichen, zum Ursprung des Menschen.

Hans Wielander

Zeitunng Vinschgerwind Bezirk Vinschgau

Zwei Zeichnungen aus dem Buch von Heinrich Schwazer „MICHAEL HÖLLRIGL Bildhauer und Zeichner, Skarabaeusverlag, Innsbruck, 34,90 €
ISBN 978-3-7082-3301-7.

Publiziert in Ausgabe 23/2012

Ausgaben zum Blättern

titel 23-24

titel Vinschgerwind 22-24

titel vinschgerwind 21-24

 sommerwind 2024

 

WINDMAGAZINE

  • Jörg Lederer war ein Holzschnitzer aus Füssen und aus Kaufbeuren. Die Lederer-Werkstatt hat viele Aufträge im Vinschgau umgesetzt. Wer will, kann eine Vinschgautour entlang der Lederer-Werke machen. Beginnend in Partschins.…
    weiterlesen...
  • Die Burgruine Obermontani bei Morter am Eingang ins Martelltal wurde für einen Tag aus ihrem "Dornröschenschlaf" wachgeküsst. von Peter Tscholl Die Akademie Meran, die Gemeinde Latsch und die Bildungsausschüsse Latsch…
    weiterlesen...
  • Vinschger Radgeschichten - Im Vinschgau sitzen alle fest im Sattel: Vom ultraleichten Carbon-Rennrad bis hin zum E-Bike mit Fahrradanhänger, Klapprad, Tandem oder Reisefahrrad. Eine Spurensuche am Vinschger Radweg. von Maria…
    weiterlesen...
  • Kürzlich wurde von den Verantwortlichen im Vintschger Museum in Schluderns das Kooperationsprojekt Obervinschger Museen MU.SUI gestartet. Es handelt sich um den gemeinsamen Auftritt der Museen in Schluderns VUSEUM/Ganglegg, Mals, Taufers…
    weiterlesen...
  • Blau, dunkelgrün, schneeweiß schäumend, türkis oder azur - Wasserwege im Vinschgau von Karin Thöni Wasser ist Quell des Lebens und unser kostbarstes Gut. Aber es wird knapper. Der „Wasserfußabdruck“ jedes…
    weiterlesen...
  • Martin Ohrwalders Liebe zu den Pferden muss ihm wohl in die Wiege gelegt worden sein. Bereits im Alter von drei Jahren schlug er seiner Mutter vor, die Garage in einen…
    weiterlesen...
  • Manfred Haringer ist Sammler, Modellbauer und Heimatforscher. Im letzten Jahr konnte er seinen alten Traum verwirklichen. In seinem Elternhaus in Morter, wo bis Ende des Zweiten Weltkrieges die Dorfschule untergebracht…
    weiterlesen...
  • Die historische Bedeutung von Schlossruinen und ihre Geschichte faszinieren die Menschen. Mit mehreren Revitalisierungsmaßnahmen erwacht derzeit die Ruine Lichtenberg in der Gemeinde Prad am Stilfserjoch zu neuem Leben. von Ludwig…
    weiterlesen...
  • Il grano della Val Venosta era conosciuto e apprezzato in tutto l' impero Austroungalico. Testo e Foto: Gianni Bodini Oggi sono i monotoni ed estesi meleti punteggiati da pali in…
    weiterlesen...
  • Questa importante strada romana attraversava tutta la Val Venosta. Testo e Foto: Gianni Bodini Iniziata da Druso nel 15 a.C., venne completata dall’imperatore Claudio Cesare Augusto. Questa importante via transalpina…
    weiterlesen...
  • von Annelise Albertin Das Val Müstair mit seiner intakten Naturlandschaft und den kulturellen Besonderheiten ist das östlichste Tal der Schweiz. Es liegt eingebettet zwischen dem einzigen Schweizerischen Nationalpark, den „Parc…
    weiterlesen...
  • Eine Symbiose zwischen der Geschichte und dem Lebensraum rund um das kunsthistorische Hotel „Chasa Chalavaina“ im benachbarten Val Müstair von Christine Weithaler Das Hotel Chasa Chalavaina wurde am 13. November…
    weiterlesen...

Sommerwind 2024

zum Blättern

Sommer Magazin - Sommerwind 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Wandern, Menschen, Urlaub, Berge, Landschaft, Radfahren, Museen, Wasser, Waale, Unesco, Tourismus

wanderfueher 2024 cover

zum Blättern

Wanderführer 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Traumhafte Touren Bergtouren Wanderungen Höhenwege

 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.