Bei den 24. Marienberger Klausurgesprächen Ende März ging es um „Perspektiven der Zuversicht“. In den verschiedenen Referaten und Diskussionen wurden die christliche Hoffnung, die EU als Hoffnungsprojekt, neue Megatrends und die Kraft der Utopien besprochen. Angeregt von diesen Vorträgen, möchte ich mich auch mit den Themen Angst und Zuversicht und den Frühlingsfesten der verschiedenen Völker beschäftigen.
Die Zukunft ist uns abhanden gekommen, Alternativen sind gegenwärtig kaum sichtbar und die meisten Menschen können sich die Apokalypse eher vorstellen, als ein gutes Leben für alle, meinte in Marienberg der in Bulgarien geborene und in Wien lebende Schriftsteller Ilija Trojanow. Aber ohne Utopie gibt es keine Zukunft, meinte er weiter. Deshalb braucht es neue Utopien, neue Visionen, ein neues Narrativ. „Das Leben kann nie völlig sicher sein. Wir können auch ohne Angst nicht leben, denn Angst hat den Sinn, uns auf Gefahren hinzuweisen. Aber in einer hysterisierten Gesellschaft geht das Maß für die Gefahren verloren. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir durch einen Treppensturz ums Leben kommen, ist immer noch ungefähr hundertmal so hoch wie durch ein terroristisches Attentat. Der Terrorismus nutzt unsere Angst, um sein Spiel zu spielen. In der überbordenden Angst entsteht die Infektion des Hasses – Hass ist ja nichts anderes als kompensierte Angst. Menschen, die Angst haben, hassen, um sich zu entlasten“. Dies meint Matthias Horx vom Frankfurter Institut für Zukunftsforschung in einem Interview.

Die Wahrscheinlichkeit, dass wir durch einen Treppensturz ums Leben kommen, ist immer noch ungefähr hundertmal so hoch wie durch ein terroristisches Attentat.

Europa ist heute gefangen in der Angst, in einem Gefühl der Verunsicherung und der Orientierungslosigkeit. Dabei bleibt die EU die Erfolgsstory des 21. Jahrhunderts. Nach der Epochenwende 1989 und der in konsequenten Schritten verwirklichten Erweiterung der Europäischen Union von sechs auf 28 Staaten schien ein Traum vieler Europäer in Erfüllung zu gehen. Der Traum, auf einem Kontinent zu leben, der nicht durch Mauern, Stacheldrähte, Wachtürme und Minengürtel zerschnitten ist, in einem Europa der Vielfalt, in dem Menschen sich frei bewegen und Ideen, Güter und Dienste ungehindert ausgetauscht werden können. Dieser Traum wird heute von vielen in Frage gestellt. Rechtspopulisten suchen die Zukunft in der Vergangenheit, im Nationalstaat und im Nationalismus. Gusztáv Kovács, ungarischer Philosoph und Rektor einer Theologischen Hochschule, erzählte in Marienberg von den großen Hoffnungen der Ungarn vor dem EU-Beitritt. Es waren vor allem Hoffnungen nach religiöser Erneuerung und der Verbesserung der Lebenssituation. Die Hoffnungen waren teilweise naiv und die Freie Marktwirtschaft brachte neue Ängste und Unsicherheiten. Die besten Arbeitskräfte wanderten in den Westen ab. Vieles hat sich aber auch zum Positiven geändert. Die EU ist für die Ungarn immer noch ein Hoffnungsprojekt, auch wenn es viele Unstimmigkeiten gibt. Die Trend- und Zukunftsforscherin Anja Kirig berichtete von neuen Megatrends wie Konnektivität, New Work, Silver Society und Neo-Ökologie, die die Wirtschaft und die Gesellschaft positiv verändern werden. Die s26 190401 PalabirnblüteUnternehmenshierarchie wird sich ändern, ein neuer Führungsstil aus flachen Hierarchien wird entstehen. Große Unternehmen werden zunehmend auch ethisch handeln und zur Kreislaufwirtschaft und Zero Waste (ohne Müll) übergehen. Die Sinnfrage wird neu gestellt, genauso wie die Definition von Arbeit, bzw. wie Menschen Arbeit bzw. Freizeit wahrnehmen und „konsumieren“ wollen.
Weil die Zukunft offen vor dem Menschen liegt, mit all den vielen Möglichkeiten, werden in sie auch viele Hoffnungen projiziert, weil die Zukunft aber ebenso auch unbekannt und nicht vollkommen planbar ist, bewirkt sie auch Unsicherheit und Angst, meinte der Moraltheologe Martin Lintner. Er sprach in Marienberg von Utopien als Idealvorstellungen einer Zukunft und von Apokalypsen als Hoffnung auf eine neue, bessere Welt, indem die alte, d. h. die bisherige zerstört wird. Lintner sprach von der berechtigte Religionskritik der Philosophen, wie Feuerbach, Nietzsche oder Marx, welche der Religion vorwarfen, die Menschen auf das Jenseits zu vertrösten und die Ausbeutung, Versklavung und Entfremdung auf Erden nicht zu bekämpfen. Durch Religion, so die Religionskritiker, wird das Diesseits im Namen eines erhofften Jenseits relativiert, schließlich passiv hingenommen und unterwürfig geduldet. Die Mission der Kirche ist es, in der Situation des Kleinmuts, der Verzagtheit, der Hoffnungslosigkeit und der Verzweiflung die Welt mit christlicher Hoffnung zu erfüllen. Konkret heißt dies: Einsatz für Gerechtigkeit, Geschwisterlichkeit und Frieden. Die Theologie der Hoffnung erhält so eine gesellschaftskritische und politische Akzentuierung. Dieses Denken hat nach Lintner besonders die politische Theologie (J.B. Metz) sowie die Befreiungstheologie befruchtet.

Holi-Fest, Sakura, Songkran, Nouruz, Pessach und Ostern

Seit Jahrtausenden feiern die Völker der nördlichen Halbkugel zu Frühlingsbeginn das Erwachen der Natur. Viele Neujahrsfeste sind Frühlingsfeste, Feste der Zuversicht und der Hoffnung. Die Tage werden länger, die Nächte kürzer, das Licht siegt über die Dunkelheit. Auch in vielen Bräuchen wird durch Lärm, Feuer oder Wasser das Frühjahr gefeiert, die Kräfte der Natur werden aufgeweckt, damit es nach den kalten Wintermonaten wieder zu wachsen und zu gedeihen beginnt. Das chinesische Neujahrsfest ist ein Frühlingsfest. 2019 wurde es am 5. Februar gefeiert. Das Holi-Fest der Hindus ist auch ein Frühlingsfest, ein Fest der Farben, das beim ersten Vollmond im Februar/März in Indien gefeiert wird. Sakura ist das Fest der japanischen Kirschbaumblüte, das Mitte oder Ende März gefeiert wird. Die Kirschbaumblüte ist Symbol für Schönheit, Aufbruch und Vergänglichkeit. Songkran, das traditionelle Neujahrsfest der Tai-Völker war heuer vom 13. bis 15. April. Dieses Frühlingsfest ist auch eine Zeit der Säuberung und Erneuerung. Nouruz (bzw. Newroz oder Nowruz = neuer Tag) ist das persische Neujahrs- und Frühlingsfest (am 20. oder 21. März), das im Vorderen Orient gefeiert wird. Pessach gehört zu den wichtigsten Festen des Judentums. Das Fest erinnert an den Auszug aus Ägypten (Exodus), also die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei. Dieses Jahr wurde es vom 20. bis 26. April gefeiert. Auch für die Römer begann bis 153 v. Christus das neue Jahr am 1. März, also im Frühjahr (daher September, der 7. Monat). Aus militärischen Gründen wurde es zwei Monate vorverlegt, so dass auch bei uns das Jahr am 1. Jänner beginnt. Das Christentum feiert Ostern als Fest der Auferstehung auch im Frühjahr. Somit sind alle Neujahrsfeste auch Frühjahrsfeste und Frühlingsfeste. Es sind Familienfeste, Feste der Daseinsfreude, die den Menschen Kraft für das neue Jahr geben und das Erwachen und Aufblühen der Natur mit Hoffnung und Zuversicht verbinden. Der Frühling kommt alleine, aber den optimistischen Zukunftsglauben müssen wir erarbeiten. Auch die Angst kommt von alleine, um die Zuversicht müssen wir uns bemühen, meint der Wissenschaftsjournalist Ulrich Schnabel. Daher müssen wir aufpassen, dass nicht die Zukunftsangst unser Leben bestimmt.
Heinrich Zoderer

 

Publiziert in Ausgabe 12/2019

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