Dienstag, 02 Oktober 2012 00:00

Der europäische Erbschein

Vinschgau - AUS DEM GERICHTSSAAL

Von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt ist Ende Juli dieses Jahres eine Verordnung der EU in Kraft getreten, mit welcher eine Art Europäisches Nachlasszeugnis eingeführt wurde. Damit wird es in Zukunft möglich, bei Erbfällen mit einem grenzüberschreitenden Bezug mit einem einzigen Erbschein in allen Staaten der Union auszukommen. Diese betreffen mittlerweile zehn Prozent aller Erbschaften in Europa, das sind fast 450.000 Fälle bei einem jährlichen Gesamtwert von rund 123 Milliarden Euro, wodurch der Bedarf nach einem solchen einheitlichen Zeugnis deutlich wird. Neu nach der europäischen Erbrechtsverordnung ist das sog. Wohnsitzprinzip. Demnach unterliegt die gesamte Abwicklung eines Erbfalls dem Recht des Staates, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt des Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Die Regelung bildet im Übrigen nur einen weiteren Schritt in Richtung europäische Integration, deren Ziel es ist, einen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ zu schaffen. Vorgänger dieser letzten Maßnahme war die mittlerweile fast schon nicht mehr beachtete gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-und Handelssachen. Ein weiterer Schritt war der seit ein paar Jahren klaglos funktionierende europäische Zahlungsbefehl. Damit können Unternehmen ihre Forderungen gegenüber ausländischen Kunden mit einem vereinfachten und beschleunigten Verfahren geltend machen und zu einem Vollstreckungstitel gelangen, der problemlos die Grenzen der Mitgliedsstaaten überspringt.
Also, die Europäische Gemeinschaft sollte nicht nur immer mit der Eurokrise und anderen Turbulenzen in Verbindung gebracht werden. Die positiven Aspekte wie unsichtbare Grenzen, der freie Personen-, Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung sind inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden. Eine Rückkehr zur Kleinstaaterei wäre ein Debakel. Daran sollten auch unsere heimischen Selbstbestimmungs- und Freistaatphantasten denken, zumal mittlerweile ohnehin 80% der Gesetze bereits durch Gemeinschaftsrecht festgelegt sind! 

Peter Tappeiner, Rechtsanwalt

Publiziert in Ausgabe 20/2012

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