Dienstag, 01 November 2016 12:00

Südtirol ist nicht Italien

Aus dem Gerichtssaal - Das behauptet jedenfalls die „Südtiroler Freiheit“ in großen Lettern auf einem Schild, das sie auf dem Brenner aufgestellt hat. Die Absicht hinter dieser plakativen Aufschrift ist für einen Kenner der heimischen politischen Landschaft klar: Man will den Einreisenden darauf hinweisen, dass Italien weiter südlich, nämlich erst an der Salurner Klause anfängt, wo das Welschland liegt. Die Menschen im südlichen Tirol sind keine „Welschen“. Sie leben in einem Land, in dem die Untugenden der Italiener keinen Platz haben, nämlich die Schlamperei, Unpünktlichkeit, Hang zum Schwadronieren usw.. Wir hingegen sind stolz auf unsere Tugenden, vor allem auf unsere funktionierenden autonomen Einrichtungen und auf die Verwaltung. Ein Blick hinter die Fassade müsste uns jedoch etwas bescheidener machen. Denn wir vergleichen uns, um bei unserer Selbstbeschau gut abzuschneiden, leider mit den Falschen. Denn so wie unter Blinden der Einäugige König ist, macht es wenig Sinn, wenn wir als Vergleichsmaßstäbe die Zustände in südlichen Regionen Italiens heranziehen. Stattdessen sollten wir uns, besonders was eine funktionierende Verwaltung anlangt, an den Standards in den Nachbarländern, z.B. der Schweiz, orientieren. Dort könnten wir nämlich, was Bürgernähe und zielgerichtetes Handeln anlangt, jede Menge lernen! Die Frage eines schweizer Beamten lautet nämlich nicht: “Wer sind Sie, was wollen Sie überhaupt, kommen Sie morgen!“, sondern: “Was kann ich für Sie tun?“ In dieser Frage kommt die lange republikanische Tradition der Schweizer zum Ausdruck. In unserer Verwaltung muss sich hingegen erst noch der Gedanke verfestigen, dass sie nicht Selbstzweck, sondern eine Dienstleistung am Bürger ist. Also nichts gegen einen gesunden Patriotismus, aber die beste Möglichkeit, sich positiv von italienischen Zuständen abzuheben, besteht nicht darin, dass wir die Trikolore schmähen, Grenzen verschieben oder drei Italiener vor dem Frühstück verspeisen, sondern dass wir aus unserem Land einen Musterbetrieb machen. Und da haben wir noch jede Menge zu tun, angefangen vom Bürokratieabbau und von der Durchforstung des schier undurchdringlichen Waldes an Vorschriften!

Peter Tappeiner,
Rechtsanwalt

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Publiziert in Ausgabe 22/2016

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