Wolfgang Platter, am 3.  April 2011, Tag des Hlg. Franz von Paola (1436 - 1507), Gründer des Minoritenordens. Pfarrer Hendrik Mattenklodt in Soest gewidmet.

P1030201Am 22. Juli 2007 hat der Weihbischof der Ruhrdiözese Essen Mons. Franz Grave am Berggrat zwischen dem Marteller Saugberg und dem Göflaner See die Steinstele zur „Goldenen Regel“ von Dombaumeister Jürgen Prigl im Rahmen eines ökumenischen Gottesdienstes gesegnet. Die gotische Fiale aus weißem Laaser Marmor und grünem Sandstein aus Westfalen wurde von Jürgen Prigl konzipiert und von ihm und seinen Steinmetzen in ehrenamtlicher Freizeitarbeit an der Dombauhütte der Kirche St. Maria zur Wiese in Soest gehauen. Soest liegt in Westfalen und war einst eine reiche Handelsstadt der Hanse am sogenannten Hellweg zwischen dem Rhein und der Ostsee. In der Nummer 14/2007 dieser Zeitung hatte ich am 12. Juli 2007 die Stele, die Idee dahinter  und ihre Entstehung erstmals vorgestellt.

Krieg und Flüchtlinge
Sie werden sich fragen, warum ich nochmals auf die Stele auf 2.800 Metern Meereshöhe zurückkomme. Mit 2,80 Metern misst sie übrigens genau ein Tausendstel der Meereshöhe, auf der sie steht. Die Antwort auf die Frage ist eine dreifache:
•    Die Umstürze in den nordafrikanischen Staaten Tunesien und Ägypten, der Aufstand und Bürgerkrieg in Libyen haben eine Flüchtlingswelle nach Italien ausgelöst. Die Zahl der Bootsankömmlinge aus Nordafrika  auf der Insel Lambedusa hat die Zahl der Einwohner bereits weit überstiegen. Diese unkontrollierte Exodus aus den Herkunftsstaaten führt zu starken Spannungen und bringt das gesellschaftliche Gefüge im Einwanderungsgebiet durcheinander. Flüchtlingswellen fordern Solidarität und überfordern manchmal die Toleranz.
•     Die Fastenzeit ist die Zeit der Besinnung und Reflexion über eigene Denkmuster, Meinungen, Haltungen, Vorurteile.
•    Dem Berg kommt in den verschiedenen Religionen und Kulturen eine große symbolhafte Bedeutung im Zusammenhang mit ethischen Normen zu.

Die Jürgen Prigl-Stele am Marteller Grat kann eine Meditationsbrücke an diesem besonderen Ort Berg und in einer krisengeschüttelten Zeit der Naturkatastrophen, der politischen Umwälzungen, der Wanderbewegung von Tausenden von Menschen und der globalen Bedrohung sein. Denken Sie auch an Erdbeben, Tsunami und nukleare Verstrahlung nach den Reaktorkatastrophen von Fukushima in Japan.

Berge als besondere Orte
Berge sind, wie oben gesagt, im religiösen Leben der Völker oftmals wichtige Orte. Weihbischof Franz Grave hatte am 22. Juli 2007 unter anderem ausgeführt, dass auf dem Berg immer etwas Besonderes geschieht. Vielfach sei der Berg auch der erhabene Ort für wichtige Botschaften. Die „heiligen Berge“ sind Begegnungsorte mit Gott. Im Alten Testament unserer Bibel bringt Moses als der Berufene und Bote seinem Volk vom Berg die dort von Gott empfangene Botschaft der Zehn Gebote. Im Neuen Testament  steigt Jesus auf den Berg, um dem Volk in der Bergpredigt seine Botschaft zu verkünden.

P1060713Die Goldene Regel
Der Vers 7.12 aus dem Matthäus-Evangelium wird in der Einheitsübersetzung der Bibel so wiedergegeben: „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen. Darin besteht das Gebot und die Propheten.“ Dombaumeister Jürgen Prigl hat die Botschaft dieser „Goldenen Regel“ mit seinen Mitarbeitern in den weißen und gründen Stein gehauen und am Marteller Grat als Friedenstele aufgestellt. Mit der Aufstellung dieser achteckigen gotischen Fiale auf dem Grat, der die Weißwand mit der  Laaser Spitze verbindet und die Wasserscheide zwischen Marteller Saugberg und Göflaner See-Becken darstellt, ist eine „Spitzenbotschaft“ verankert und verortet. Und in der Windharfe der Stele steht weiter  im Stein „Der Geist weht, wo er will“. Weihbischof Franz Grave hat bei der Segnung am 22. Juli 2007 unter anderem ausgeführt: „ In einer zerrissenen Welt mit ihren entsetzlichen Konflikten, Kämpfen, Entführungen und unsinnigen Selbstmordattentaten, mit dem Raubbau an der Natur, ist die Kultur der Liebe und des Friedens das einzige Therapie-Mittel.“
Die Goldene Regel gibt es als ethischen Grundsatz in allen monotheistischen Weltreligionen. In die Achteck-Säule der Stele am Marteller  Berg sind die Inschriften in den jeweiligen Schriftzeichen der Originalsprachen eingehauen. Originell und universal! Sie sollen hier gleichsam als Anregung für eine Meditation in der Fastenzeit wiedergegeben werden:

Hebräisch (Judentum): Du sollst deinen Nächsten lieben, er ist wie du.
Sanskrit (Hindu): Tue keinem das Leid an, was bei dir selbst Leid verursacht hätte.
Pali (Buddha): Verletze nicht andere auf Wegen, die dir selbst als verletzend erscheinen.
Altchinesisch (Dao): Bürde anderen nicht auf, was du nicht selbst erstrebest.
Altgriechisch (Christentum): Wir ihr wollt, dass euch die Leute tun, so tut ihnen auch.
Arabisch (Islam): Wünsche deinem Bruder, was du dir selbst wünscht.
Latein und deutsch: sie oben bei altgriechisch.

Wanderung

Wer zur Stele am Marteller Grat aufsteigen will, erreicht diese von Martell aus über den Steig Nr. 11 oder Nr. 23 und im Schlusskar über den „Jürgen Prigl-Steig“ oder von der Göflaner Alm aus über das Gölfaner Schartl oder über den Göflaner See. 1.000  - 1.200 Höhenmeter sind von den Ausgangspunkten aus zu bewältigen. Die Bergtour ist erst für das Sommerhalbjahr ab Juni zu empfehlen.

P1030203Zum Schluss zitiere ich noch einmal den emeritierten Weihbischof Franz Grave: „Die Goldene Regel ist eine Lebensregel im Sinne einer Grundregel. Es handelt sich um einen allgemein gültigen Grundkonsens., der bei aller Verschiedenheit der Lebensauffassungen, die Grundnorm ist, die das Leben und die Gesellschaft zusammenhält. Religionsgeschichtlich ist klar, dass die ,Goldene Regel´ weder von Jesus stammt, noch nachträglich von christlichen Gemeinden formuliert worden ist. Man fand sie vor! Wichtig ist allerdings, dass  diese Grundregel oder auch Weltregel tief in den Kulturen und Religionen eingeschrieben ist. Fast möchte man sagen: Diese Regel gehört zum Naturell des Menschen, zu seinem Wesen und Menschsein.“
Eine hinterfragende Fastenzeit in Eigenreflexion wünsche ich Ihnen.

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Publiziert in Ausgabe 7/2011

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