Wolfgang Platter, am Tag der Apostel Petrus und Paulus, 29. Juni 2011
Im heutigen Beitrag stelle ich zwei wenig bekannte, aber deswegen nicht weniger interessante Vogelarten als Gebirgsbewohner in den Alpen vor: den Mauerläufer und die Goldhähnchen. Sie sind gleichsam funkelnde Edelsteine der heimischen Vogelfauna.
Der Mauerläufer
(wissenschaftl. Name: Tichodroma muraria, ital. Name: Picchio muraiolo)
Der Mauerläufer ist ein naher Verwandter des Kleibers, hat aber einen langen, gebogenen Schnabel. Er ist ein etwa sperlingsgroßer Gebirgsbewohner der Alpen und Pyrenäen, des Apennins, der Karpaten und des Taurus sowie des Kaukasus. Außerhalb des süd- und osteuropäischen Verbreitungsgebietes bewohnt er auch die asiatischen Gebirge bis Ostasien. In den Alpen kommt er in dünnen Dichten in einer Höhe zwischen 1.000 und 2.500 Metern vor und steigt als Stand- und Strichvogel im Winter von den Höhen herab: In der kalten Jahreszeit ist er mit etwas Glück an Kirchtürmen, Burgruinen, Steinmauern und in Steinbrüchen beobachtbar. In den Marmorbrüchen von Laas und Göflan ist der Mauerläufer Brutvogel.
Habitus
In Erscheinungsbild, Verhalten und Farbe des Federkleides ist der Mauerläufer unverwechselbar: Rot, weiß, schwarz und grau sind die Farben an Körper, Flügeln, Handschwingen und Schwanz. Beim Klettern in der Felswand ist dauerndes Flügelzucken charakteristisch. Dabei blitzt die Doppelreihe der weißen Flecken an der Innenseite der Handschwingen auf und das Rot in den Flügeln wird deutlich sichtbar. Der Flug des Mauerläufers ist schmetterlingsartig gaukelnd.
Nestbau und Brut
Der Mauerläufer ist ein Bewohner der Felswand. Das Nest wird recht tief in Felsspalten und –höhlen gebaut, häufig über dem Wasser. Die Brutwände sind meist steil aufragend. Als Nestfeinde kommen Wiesel und Steinmarder in Frage. Der Legebeginn fällt in den Mai. Es wird nur eine Jahresbrut erbrütet. Das Weibchen brütet 18 - 19 Tage. Beide Partner füttern die Jungen etwa 28 - 30 Tage im Nest. Für den Mauerläufer als Hochgebirgsvogel ist die Brutperiode kurz. Die Eier sind im Vergleich zu gleichgroßen Singvögeln auffallend groß und enthalten viele Nährstoffe. Die Jungen werden sehr lange im Nest betreut. Zur Ernährung der Brut sind sehr große Reviere notwendig.
Die Goldhähnchen
Von der Gattung Goldhähnchen gibt es in der heimischen Vogelfauna zwei Arten: das Sommergoldhähnchen (Regulus ignicapillus) und das Wintergoldhähnchen (Regulus regulus). Die Goldhähnchen gehören zur Familie der Zweigsänger (Sylviidae). Mit einer Gesamtkörperlänge von 9 Zentimetern und einem Gewicht von 5 Gramm ist das Wintergoldhähnchen der kleinste Vogel Europas.
Die Goldhähnchen bewohnen bevorzugt Fichtenwälder, aber auch andere Nadel- und Mischwälder, ja sogar Park- und Gartenanlagen. Das Wintergoldhähnchen dringt in seinem Verbreitungsgebiet weiter nach Nordeuropa vor und brütet auch in den skandinavischen Ländern. Das Sommergoldhähnchen ist auf Kontinentaleuropa begrenzt. Als Zugvogel überwintert es in Ländern dies- und jenseits des Mittelmeeres. Beide Arten sind Insektenfresser. In den Lautäußerungen und im Gesang sind die beiden Goldhähnchen nur schwer zu unterscheiden. Der Name kommt vom goldgelben Streifen am Scheitel. Beim Sommergoldhähnchen ist in diesen gelben Scheitel noch ein orangeroter Streifen eingezogen. Der italienische Artname verweist auf diese Gefiederfärbung: Fiorancino. Außerdem hat das Sommergoldhähnchen einen weißen Überaugenstreifen und durch das Auge läuft ein schwarzer Streifen. Dem Wintergoldhähnchen fehlt dieser schwarze Augenstreif.
Nestbau
Die Goldhähnchen sind Meister des Nestbaues. Das Nest ist ein Hängenest in Astgabeln von Nadelbäumen, bevorzugt Fichten. Als tiefer Napf wird das Nest nicht auf eine Unterlage gebaut, sondern in eine Astgabel oder zwischen kleinere Äste eingewoben. Der Legebeginn fällt in den Mai und es erfolgen in der Regel zwei Jahresbruten. Das Weibchen brütet 14 – 17 Tage und die Jungen werden von beiden Partnern etwa 18 – 21 Tage mit Insekten gefüttert. Das Hängenest ist ein mehrschichtiges, kunstvolles und stabiles Gebilde mit hervorragender Feuchtigkeits- und Wärmeisolation. Selbst bei starkem Regen sind die Jungen nicht gefährdet, weil das Nest innen immer noch trocken bleibt. Es kann bis zum Fünffachen seines Trockengewichtes an Regenwasser aufnehmen, ohne zu zerbrechen oder aus seiner Aufhängung zu rutschen. Die Widerstandsfähigkeit des Nestes kommt durch den hohen Anteil von eingebautem Spinnstoff zu Stande: Die Goldhähnchen entnehmen ihn den Eierkokons von Spinnen und den Gespinsten von Raupen. Die Außenschicht des Nestes setzt sich außerdem aus Flechten und Moosen zusammen. Nach innen folgt in der Nestwand eine Mittelschicht an lockeren Moosen und Flechten. Die innerste Polsterschicht besteht hingegen aus Tierhaaren und Federn. Der Nestbau dauert etwa 20 Tage und für ein so perfektes Endprodukt sind 14 – 15 verschiedene Verhaltensweisen der Vögelchen notwendig. Am Ende der Mühen steht eine dermaßen wärmeisolierte Kinderstube, welches es dem Weibchen erlaubt, sich bei jeder Witterung bis zu 25 Minuten von der Brut zu entfernen, ohne dass der Nestinhalt abkühlt.
Anpassung
Noch eine ernährungsphysiologische Anpassung des Wintergoldhähnchens soll an dieser Stelle erwähnt werden. Als Insektenfresser ist das Wintergoldhähnchen kein Zugvogel, welcher der kalten, nahrungsknappen Zeit durch Wanderung in den Süden ausweicht, sondern ein ganzjähriger Standvogel. Das Überleben des Wintergoldhähnchens im winterlichen Bergwald ist eine erstaunliche Leistung, wenn man bedenkt dass das Vögelchen auch in den kalten Nächten seine Körpertemperatur konstant bei plus 41° C hält. Dazu ernährt es sich von winzigen Insekten, vor allem Springschwänzen, die sich auf den Fichtenästen zwischen Flechten und Ritzen verstecken. Als Anpassung an die kalte Jahreszeit lagern die Springschwänze viel Polyol in ihrem Blut ein. Dieser Stoff fungiert als Frostschutzmittel und senkt den Gefrierpunkt ab, so dass die Springschwänze überleben und dem Goldhähnchen als Winternahrung dienen. Das Wintergoldhähnchen kann als eigenwarmes Wirbeltier keine großen Schwankungen der Körpertemperatur aushalten, ohne an Unterkühlung zu sterben. Es muss bei einem Körpergewicht von nur 5 Gramm in den wenigen winterlichen Tagstunden mit Licht rastlos arbeiten und eine so große Insektenmenge aufnehmen, dass es die langen Nachtstunden überlebt. In einer Winternacht verbrennt das Wintergoldhähnchen etwa ein Fünftel seines Körpergewichtes.
Info:
Wenn Sie sich breiter und näher auch über viele andere Arten der einheimischen Vogelwelt informieren wollen, lade ich Sie zu einem Besuch unseres Informationspunktes „avimundus“ in Schlanders ein. Sie finden dieses Angebot der Gemeinde Schlanders und des Nationalparks Stilfserjoch bei freiem Eintritt in der Kapuzinergasse am Beginn der Fußgängerzone in Schlanders. Unsere Öffnungszeiten während der Sommermonate sind folgende: Dienstag bis Samstag: von 10.00 – 12.30 und von 15.00 – 18.00 Uhr. Sonntag, Montag und an den Feiertagen bleibt der Infopoint geschlossen.
Bezirkszeitung Vinschgerwind, Vinschgau